Für mein Projekt Territorial Objects erwerbe ich im „Spätherbst“ des Ausverkaufs der DDR Grundeigentum aus dem Bestand der BVVG. Splitter- und Arrondierungsflächen, schmale Grundstücksstreifen, Verkehrsflächen, ehemalige Grabenflurstücke etc. - Kleinstflächen auf denen eine wirtschaftliche Nutzung nahezu ausgeschlossen ist, stehen im Fokus meines Interesses.
Durch den Kauf, sprich die notarielle Beurkundung und den Eintrag im Grundbuch, vollziehe ich den bürokratischen, rechtskräftigen und durchaus „ernsthaften“ Prozess des Grunderwerbs und verfüge damit über territoriale Flächen bzw. Objekte. Ihnen gemeinsam sind die Eigentumsverhältnisse seit den letzten 65 Jahren, als Volkseigentum der DDR und anschließend der Treuhand. In Lage, Form und Nutzungsmöglichkeit unterscheiden sie sich jedoch deutlich von einander. Der eingeschriebenen DDR-Zugehörigkeit und anschließenden Reprivatisierung füge ich durch meinen Erwerb eine weitere gemeinsame Spur hinzu. Sie bilden ein arbiträres Netzwerk loser Punkte, die sich wie unsichtbare Denkmäler der jüngeren deutschen Geschichte bzw. absurde Auswüchse einer andauernden Privatisierungswelle in der Landschaft verteilen. Mit meiner Signatur vollende ich die angestrebte Abwicklung der jeweiligen Grundstücke, erlöse sie aus dem immateriellen Nebel ihres Zwischenzustands und deklariere sie zu diskursiven Kunstobjekten.
Aneignung und Besitz
Die Grundstücke erwerbe ich über die eBay-ähnliche Plattform der Deutschen Internet Immobilien Auktion GmbH (DIIA). Die Objekte werden dort, mit einer Auflistung einiger Daten zum Grundstück, mehrere Wochen vor dem Auktionsdatum veröffentlicht. In den letzten Minuten der Auktion, der sog. „Live-Phase“, öffnet sich ein Chatfenster und ein virtueller Auktionator wickelt im Chatverlauf mit den anonymisierten Bietern die Auktion ab und erteilt den Zuschlag. Es folgt die beglaubigte Beurkundung beim Notar, mit dem die Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch vorgenommen werden kann.
Die jeweiligen Prozesse der Internet Auktion und der notariellen Beglaubigung erweisen sich dabei als ambivalent. In der spielerischen Leichtigkeit und Zugänglichkeit der profanen Internet-Auktion wird der Zeitgeist aktueller Verwertungsoptionen deutlich. Dem gegenüber steht die strengste juristische Formvorschrift: Die notarielle Beurkundung.
„Zeit und Raum sind Dispositive gesellschaftlicher Macht“ und der Besitz von Grundeigentum konstruiert ein ebensolches Machtgefühl und verkörpert die Erfüllung einer individuellen und archaischen Sehnsucht nach Heimat und Verortung. Gleichzeitig stehen diese Objekte stellvertretend für einen Diskurs im Umgang mit dem Substrat des Lebens: Dem Grund und Boden und all seinen verwertbaren Ressourcen.
Die irrentablen und unprätentiösen Restgrundstücke des ehemaligen Volkseigentums befinden sich auf der Gegenseite des hochkulturellen Kunstbetriebs. Es sind reale territoriale Kleinstobjekte im ländlichen Raum, die unsichtbare Monumente des Scheiterns einer Kollektivierung zu DDR-Zeiten sind und Symbole für das Verdrängte, Unterdrückte und Ausgeschlossene einer „postsozialistischen“ Phase darstellen. Sie widersprechen allen Gesetzen der Brauchbarkeit. Durch meinen Erwerb und die damit verbundene kulturelle Aneignung hinterfrage ich die Ideologie, in der Grund und Boden als Kapital- und Sicherheitsanlage angepriesen wird.
Territoriale Objekte / Analyse
Für meine Meisterschülerpräsentation habe ich eine assoziative Raumstruktur konstruiert: Mit unterschiedlichen Objekten, Dokumenten, Fragmenten und installativen Interventionen möchte ich den Prozess des Erwerbs sichtbar machen, die Struktur und Konstruktion von Grundeigentum reflektieren und in den Ausstellungsraum übertragen. Ich habe die Galerie der HGB als Präsentationsort gewählt, da sie selbst ein eigenständiges Territorium mit einer spezifischen Topografie darstellt. Sie repräsentiert institutionelle Prozesse des Kunstmarktes, in dessen Architektur Ein- und Ausschlüsse kultureller Sichtbarkeit eingschrieben sind. Durch die Verhandlung meiner Untersuchung im Whitecube entsteht zum einen eine Entkopplung zu den tatsächlichen terrestrischen Verhältnissen der jeweiligen Grundstücke und damit eine Konzentration auf die Kommodifizierung und Struktur von Grundeigentum. Zum anderen möchte ich die Analogie und Verbindung der Verwertungsmechanisen der gekauften Grundstücke zu denen der Kunstwelt sichtbar machen und thematisieren. Insofern untersuche ich nicht allein den Begriff des Territoriums am Fallbeispiel der Grundstücke, sondern bestetze damit selbst den hochkulturellen und gesellschaftlich abgegrenzenten Diskurs- und Ausstellungsraum der HGB Galerie.
Eingeleitet wird die Ausstellung durch eine Serie von gedruckten und gerahmten Orthofotos mit eingezeichneten Liegenschaftskarten, auf denen farbig hervorgehobene geometrische Formen Grundstücke markieren, die in mein Rechercheraster passen und für die ich einen Bietantrag gestellt habe. Die Recherche und Suche nach Grundstücken ist stark abhängig vom Angebot und es zeigt sich, dass meine künstlerische Auseinandersetzung mit Grundeigentum eng an die Dynamiken und Verhältnisse eines Marktes geknüpft ist. Zum anderen bringt das auf die Fotografien eingezeichnete Netz der Liegenschaftskarten die sonst vielerorts auch unsichtbaren Grenzen in unserer Umwelt zum Vorschein.
Es folgt ein Video, in dem ich die „Live-Phasen“ von Onlineauktionen an denen ich beteiligt war zusammengeschnitten habe. In einem - fast schon anachronistischen - Chatfenster, eröffnet ein Auktionator die Schlussphase der Auktionen und alle Bieter, die eine Bietfreigabe für das jeweilige Objekt erhalten haben, können entweder über digitale Bietagenten oder eigenständig und anonym an der Schlussphase der Auktion teilnehmen. Dabei ist durch die Sichtbarkeit und Bewegung des Cursors meine Aktivität nachzuvollziehen und suggeriert eine „Liveness“.
Dieses profane Prozedere demonstriert eine spielerische Leichtigkeit und physische Entkoppellung und erweist sich als Gegensatz zur materiellen und gesellschaftlichen Substanz von Grund und Boden. In einem fast schon bildhauerischen Prozess habe ich, von den fünfzehn recherchierten Objekten ausgehend, an vier „Live-Phasen“ aktiv teilgenommen und daraus zwei Objekte für jeweils 10 Euro Kaufpreis erworben.
In der anschliessenden notariellen Beglaubigung des Kaufvertrags wird in einem fest definierten Ablauf, und begleitet durch eine Aura der Ernsthaftigkeit, die offizielle Aneignung von Grund und Boden manifestiert und zelebriert. Erst bei Anwesenheit der Parteien im Notariat, dem Vorlesen des Vertragsgegenstandes vom Notar und dem anschliessenden Unterzeichen des Kaufvertrags mit angebrachten Siegel und Garn bekommt die Inbesitznahme ihre Authentizität.
In den zwei in Beton gegossenen Kaufverträgen habe ich diese Manifestation aufgegriffen. Lediglich das an der rechten Seite herausstehende rot/weiße Notariatsgarn und das DIN-Format der Objekte geben Hinweise auf das Verborgene im Inneren. Durch das Eingießen in Beton erhält der Vertrag eine Aufbewahrung mit Ewigkeitsgarantie. Entgegen dem gesprochenen und geschrieben Wort des Inhalts möchte ich mit diesem „stummen“ Objekt das Auratische und Exklusive betonen, was für mich als Essenz aus dieser gedruckten, gebundenen und versiegelten Formvorschrift hervorgeht.
Am augenscheinlichsten in der Ausstellung sind zwei unterschiedliche große und farbige Flächen, die sich an und teilweise über die Ausstellungsarchitektur legen. Es sind in einem Maßstab von 1:1 nachgebaute Flurkarten von den erworbenen Grundstücken. Die jeweiligen Farben sind bundesweit kodiert und geben die Nutzung der Flächen, wie Art der Bebauung, landwirtschaftliche Nutzung oder Siedlungsfläche an. Angelehnt an die hypothetische und paradoxe Darstellung bei Umberto Ecos Aufsatz „Die Karte des Reiches im Maßstab 1:1“ bzw. George Luis Borges Kurzgeschichte „Von der Strenge der Wissenschaft“ habe ich diese Karte in ein Maßstab von 1:1 übertragen. Dabei geht es mir aber mehr um das Sichtbare der Objekthaftigkeit und die Materialisierung der Konstruktion von Grund und Boden als um eine territorialkoextensive und detailgenaue Übertragung der Grundstücke.
Der Nachbau der Flurkarte 3/175 ist so aufgebaut und angeordnet, dass sie von den Besuchern betreten werden muss und damit eine Grenzüberschreitung auch innerhalb der Ausstellung stattfindet.
Neben den eingebauten Flurkarten sind Textfragmente angebracht, die aus der Beschreibung der Auktion zu den jeweiligen Objekten entnommen sind und als Anlage zum Kaufvertrag angefügt wurden. Sie dokumentieren einen vermeintlich „objektiven“ Zustand der tatsächlichen Orte und ihrer Umgebung und stellen eine Verbindung zum Aussenraum her. Durch die Größe und Positionierung der Schrift sollen auch die Texte als eigenständige Objekte wahrgenommen werden und eine Verbindung zur Architektur der Galerie aufbauen.
Auf der Empore der Galerie ist neben dem Auslaufen des Flurstücks 3/175 und dem Wandtext eine letzte Arbeit installiert. Zu sehen sind dort zwei ungerahmte und mit Dokumenten bedruckte Landschaftsfotografien in schwarz/weiß. Auf den Fotografien kleben farbige Post-its, die ebenfalls überdruckt sind. Die Fotografien dokumentieren die gekauften Grundstücke und ihre Umgebung. Sie stehen in der Tradition klassischer Landschaftsfotografie, nehmen durch ihre monochrome Oberfläche Bezug auf ein anachronistisches Verständnis von Objektivität und werden dadurch selbst zum Dokument. Die darauf gedruckte und nur teils lesbaren Textdokumente sind Auszüge aus den jeweiligen Grundbücher. Die Einsicht in diese exklusiven Archivgüter ist nur wenigen Vorbehalten, unter anderem den Eigentümern. Sie verifizieren territoriale Machtverhältnisse und speichern im Stillen alle ihnen zugehörigen Prozesse und Veränderungen. Durch die mit den Grundbuchauszügen bedruckten Fotografien und dem assemblageähnlichen Anbringen der Haftnotizen möchte ich den Gestus und die Ästhetik der Recherche betonen und die unsichtbare Tiefe der individuellen Geschichte und Organisation jedes noch so kleinen Territoriums zum Vorschein bringen.