Menschen markieren Linien auf dem Land und definieren Länder und Rassen. Grenzen im Meer sind noch weniger sichtbar. Da die Ozeane mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken und täglich Millionen von Menschen zwischen verschiedenen Meeren überqueren, hat das Meer seit Tausenden von Jahren für den Transport der Menschen und Waren gedient. Daher muss die Frage gestellt werden: Gibt es eine Grenze im Meer, auch wenn sie unsichtbar ist? Das Meer formt unsere Geschichte und Gesellschaft mit Massenmigration und Bewegung.
Die weiten, blauen Ozeane der Welt sind alle miteinander verbunden. Die Länder teilen kontrovers jedoch auch die Grenze durch das Meer. Es gibt jedoch keine physische oder konkrete Grenze im Meer. Die Menschen können sich freier über das Meer von einem Kontinent zum anderen bewegen, daher ist die Flucht durch das Meer einfacher als die Durchfahrt einer Grenze auf dem Landweg.
Es gibt mehr als 70 Millionen Vertriebene in der Welt. Bei Migrationsbewegungen starben mehr Menschen auf dem offenen Meer als auf dem Land. Seit 1993 sind über 27.000 Migranten und Flüchtlingen im Meer gestorben. Zahlreiche menschliche Überreste schwimmen im Meer und sinken auf den Meeresboden. Wie viele Geschichten sind am Meeresgrund verborgen? Die Grenzen auf dem Meer sind unsichtbar, aber existieren auf politischer und kultureller Art. Die Menschen können sich in der Welt nicht frei bewegen, auch nicht auf dem Meer, weil es erwartet wird, dass die Länder zuerst die Rechte und die Souveränität ihrer eigenen Bürger verteidigen. Das Gleichgewicht zwischen unseren Menschenrechten und der Souveränität des Territoriums kann schwierig zu erreichen sein. Aber die Mobilität der Menschen ist jedoch wie der Fluss des Meeres, der niemals aufhört.
Diese Diplomarbeit behandelt maritime Migrationsbewegungen aus einer künstlerischen Perspektive und soll an die fast vergessenen Geschichten erinnern.
The Noblest Pain
Das erste Video des unsichtbare Grenzen Projekt wurde aufgrund meiner Nostalgie zu meiner Heimat Hongkong initiiert. In den beiden im Video vorgestellten Geschichten segelten Migranten und Flüchtlinge für Freiheit trotz des Schmerzes der Nostalgie ihre Heimat verlassen zu müssen.
In den 50er bis 70er Jahren flohen über zwei Millionen chinesische Migranten von China nach Hongkong durch das Meer. Ein ähnliches Ereignis ist an der Ostsee passiert, wo Ostdeutsche, die aus der DDR geflüchtet, von Rostock nach Dänemark geschwommen sind. Die Ähnlichkeit zwischen den Mirs Bay, HK und der Ostsee, Deutschland ist ein Schicksal, das die beiden miteinander verbindet.
Die chinesischen Migranten sind nach Hongkong geflohen, weil sie kein Leben unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas wollten. Mein Großvater war auch einer der chinesischen Flüchtlinge. In meinem Video habe ich meinen Vater gebeten, das Meerwasser aus Mirs Bay, Hongkong zu sammeln und mir das Wasser in einem Paket nach Deutschland zu schicken. Das ist eine Reise für mich, um meine eigenen Wurzeln zu verstehen. Die Erzählung des Hongkong-Teils des Videos ist von einem chinesischen Migranten, Law Tim Chai, der über das Meer nach Hongkong geflohen ist.
Von 1961 bis 1989 versuchten ca. 5.600 Ostdeutsche, aus der DDR über die Ostsee zu entkommen. Leider waren nur weniger als 1.000 erfolgreich. Da die Ostsee Grenze zwischen Rostock, Deutschland und Dänemark fließend ist, war die Flucht über das Meer aussichtsreicher als die Flucht durch die Berliner Mauer,diese war aber dennoch gefährlich. In diesem Video habe ich ein Interview mit einem Westdeutschen geführt, Thorvald Greif, der in 1974 ein Boot baute, um seine Frau und zwei Töchter aus der DDR, nach Bornholm, einer dänischen Insel, zu bringen. Sie wurden verhaftet und gingen ins Gefängnis. Glücklicherweise wurde die Familie 1976 in Creglingen, Deutschland wiedervereinigt.
Ich habe festgestellt, dass die historischen Ereignisse zwischen Hongkong und Deutschland überraschend ähnlich sind. In beiden Staaten sind Menschen vor der kommunistischen Herrschaft über das Meer entkommen. Ich habe Meerwasser von Mirs Bay, Hongkong, in die Ostsee gegossen, um zwei Meere symbolisch zu vereinen. Ich habe auch Meerwasser aus der Ostsee in einer Wasserflasche aufbewahrt. Am Ende des Videos habe ich etwas Meerwasser aus Deutschland in die Ostsee, Dänemarks gegossen, um die Geschichte von Herrn Greif symbolisch mit glücklichen Ausgang abzuschliessen.
Mare Nostrum
Das zweite Video dieses Projekts ist ,mare nostrum, was auf Latein ,unser Meer’ bedeutet. Es geht um die Fluchtgeschichte eines syrischen Flüchtlings über das Mittelmeer. Das Mittelmeer ist ein Ort für Abreise, Transit und Ankunft. Es ist gleichzeitig eine Hoffnung für viele Migranten und Flüchtlinge und eine Sorge für einige Europäer. Das Mittelmeer verbindet 22 Länder auf drei Kontinenten. In den letzten 25 Jahren sind über 25.000 Menschen an der europäischen Seegrenze gestorben, und zwei Drittel der Leichen liegen immer noch auf dem Meeresboden. Das Mittelmeer und die umliegenden Meere sind das tödlichste Meeresgebiet der Welt.
Das Interview zeigt Abdul Nasser, einen syrischen Flüchtling, der über die Ägäis und das Mittelmeer nach Deutschland geflohen ist. Der gesamte Fluchtweg ist ca. 3400 km lang. Während der Flucht nahm er ein Boot von Samos, Türkei, nach Griechenland und teilt seine schrecklichen Erfahrungen im Video.
Es ist ein trauriges Meer, das zahlreiche menschliche Überreste enthält. Im Video bin ich an die Ägäis und dem Mittelmeer gegangen, um das Meerwasser zu sammeln. Die Küste ist oft voller Touristen, die scheinbar "Gleichgültigkeit empfinden oder die Geschichten von Tausenden von Menschen, die im Meer gestorben sind, nicht kennen. Die Fluchtgeschichten des Flüchtlings erinnern uns daran, dass dieses Meer eher ein Symbol für ein hohes Sterberisiko als für ein Paradies ist. Das Bild des schönen Meeres bildet einen großen Kontrast zu Abdul's Erzählung und verstärkt die Traurigkeit des Meeres.
Burial At Sea
Ich habe dieses Video während eines Artist in Residency Aufenthaltes in Olafsfjordur , Island aufgenommen. Dieses Video zeigt die Geschichte und den Tod eines Seemanns in Island. Isländer werden als Seemänner geboren. Sie bewundern und gehorchen der großen Kraft der Natur. In dem Roman ,Ein isländischer Fischer’ starb der Seemann bei einem Schiffbruch und sein letzter Gedanke war, das Meer zu seiner Frau zu nehmen und sein Leben ans Meer zu legen. In diesem Video würde ich gerne die scheinbare Kraft des Seemanns in Relation zu der natürlichen Gewalt der Meere zeigen. Die Isländer feiern jedes Jahr am 1. Juni das Seamen Festival, um die Seemänner zu ehren. Sie fischen, segeln und arbeiten auf dem Meer, um ihre Familien zu versorgen trotz der Gefahren der Wellen. Eine der Festaktivitäten besteht darin, einen LKW zusammen zu ziehen, um die Kraft der Seemänner zu demonstrieren. Die Erzählung des Videos stammt von einem alten Seemann, der 20 Jahre lang auf dem Meer gearbeitet hat. Er erzählt eine Geschichte, die er aus seiner langen Arbeit am Meer erlebt hat. Ich habe auch Meerwasser aus Island gesammelt. Ich stelle mir vor, ein Seemann (Seefrau??) zu sein und sammle Geschichten über das Meer. Die Mobilität der Menschheit, der Meere sowie der Landmassen sind miteinander verflochten. Wir müssen uns fragen, welche Rolle Menschen spielen sollen. Das Meer braucht keine Menschen, aber wir brauchen definitiv das Meer. Wenn wir über das Meer sprechen, müssen wir uns fragen: Wem gehört das Meer? Wir sollten uns auch unter das System der natürlichen Kraft der Erde stellen. Das Meer erinnert an die Spuren von Leben und Zeit.
Pateras
Der untere Teil des Videos wurde in der Straße von Gibraltar aufgenommen. Die Straße trennt die beiden Kontinente Europa und Afrika. Der engste Teil ist nur 14 km breit. Spanien in Europa und Marokko in Afrika befinden sich am Engpass der Straße.
Die Hoffnung vieler Menschen aus Tanger, Marokko, in einem prosperierenden Westeuropa zu leben, führte dazu, dass viele Menschen die Straße von Gibraltar überqueren, obwohl die Gefahr besteht, das eigene Leben bei der Überquerung des Ozeans zu verlieren. Wurden Marokkaner mit kleinen Booten, sogenannten Pateras, über die Straße nach Spanien geschmuggelt. Seit 1988 sind im Mittelmeer rund um die Straße von Gibraltar ca. 8.000 Menschen auf dem Weg nach Europa gestorben oder verschwunden. Es ist eine natürliche Grenze ohne klare Linien.
Ich hatte ein spontanes Gespräch mit einem Marokkaner. Er ist gut ausgebildet, aber monatelang arbeitslos. Er hat die meiste Zeit über Arbeit gesprochen und war neugierig in Europa zu arbeiten.
Der Warenfluss ist wie die Mobilität der Menschen. Ich habe Meerwasser in Spanien und Marokko gesammelt. Das Meerwasser der Straße von Gibraltar in Marokko steht für die Hoffnung vieler Marokkaner, und ich habe versucht, das Meerwasser von Marokko nach Spanien zu schicken, um festzustellen, ob der Warenfluss anders ist als die eingeschränkte Freizügigkeit der Menschen. Die lange Wartezeit bei der Post in Marokko erinnert mich an meine Erfahrungen bei der Ausländerbehörde in Deutschland. Wir bekommen zuerst eine Wartenummer und warten darauf, aufgerufen zu werden. Leider ist der Versuch gescheitert. Es ist mein erstes Mal, dass ich kein Meerwasser verschicken durfte. Grundsätzlich ist das Versenden von Flüssigkeiten verboten, aber der Zoll erlaubt es meistens.
Im oberen Teil des Videos habe ich erfolgreich Meerwasser von Spanien nach Deutschland verschickt, ohne Fragen gestellt zu bekommen oder kontrolliert zu werden. Es ist überraschend, dass die Postkontrolle in Marokko strenger ist als in Europa. Bedeutet es, dass der Waren- und Personenfluss innerhalb der EU einfacher ist als zwischen Marokko und Europa?
Dieses Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Die Meere haben noch andere Geschichten, aber dennoch vieles gemeinsam. Die Geschichten der Toten und Migranten dürfen nicht vergessen werden. Diese Reise des Sammelns von Meerwasser auf der ganzen Welt hat mich dazu gebracht, sowohl die Verbindung zwischen dem Meer und mir selbst zu überdenken als auch die Beziehung zwischen Natur und Mensch besser zu verstehen.