H
G
B

Formen der Organisation

Konzept: Roger M. Bürgel

"Formen der Organisation" hieß die ästhetische Spekulation über die Chancen eines zielgerichteten Miteinander, das seine Kraft und seinen Charme aus gewissen Momenten der Unentscheidbarkeit –­ nicht zu verwechseln mit Unentschiedenheit! –­ bezieht. Diese ästhetische Spekulation hatte zwar die Form einer Ausstellung (so konventionell trauten wir uns zu sein). Deren heimliches Anliegen war aber nicht, die politische Erfahrung "rüberzubringen", das heißt ihr adäquaten Ausdruck zu verleihen. Nein, das Anliegen war aus Erfahrungen Bilder zu machen.

Kommen wir nocheinmal zurück auf die Organisationsform jener Bewegung, die von ihren Gegnern als Anti-­Globalisierungs­bewegung bezeichnet wurde, während sie selbst von Global Justice sprach. Diese Organisationsform (wenn die Rede im Singular überhaupt statthaft ist) war ein Phänomen, insofern sie weder den üblichen Zuschreibungen identitärer Bekenntnissenoch einer Logik der Apparate gehorchte. Es ging um Parteiergreifen, nicht um Parteibildung, wobei die Grenze zwischen Engagement und Institutionalisierung nicht immer leicht zu ziehen war... Vielleicht läßt sich überhaupt erst historisch feststellen, was in Seattle oder Genua los war, und ob die begrifflichen Instrumente einer künftigen Politik in Porto Alegre geschmiedet wurden. Aber so lange wollten wir nicht warten.

So dokumentierte Lisl Ponger in einer Fotoserie ein ehemals sozialistisches Jugendlager in Lendava (Slowenien). Hier kampierte im Frühsommer 2001 die Volxtheaterkarawane, eine aktivistische Theatergruppe, um im Dreiländereck Österreich, Ungarn und Slowenien den NoBorder­Aktionstag zu begehen, bevor sie nach Genua weiterzog. Vom Lager zeigte Ponger nicht viel mehr als charmant schäbige Gebäude, einen leeren Pool und üppigen Baumbestand. Später, nach den Ausschreitungen in Genua und der Verhaftung von Akteur/innen der Volxtheaterkarawane, hieß es seitens der italienischen Polizei, in diesem Lager hätten konspirative Treffen von Gewalttäter/innen stattgefunden. Pongers Fotos antworteten den paranoiden Projektionen der Exekutive mit der Phänomenologie eines Schauplatzes, die für Geheimnisse nichts übrig hatte ­ die, mit anderen Worten, dem Deutungswahn, den Bilder gemeinhin auslösen, Anschauung entgegensetzte. Dierk Schmidt prüfte in einer Installation mit Malereien den Gebrauchswert des französischen Historienbildes des 19. Jahrhunderts. Gericaults "Floß der Medusa" diente ihm als Vorbild, um das Schicksal eines im Oktober 2001 vor der australischen Küste gesunkenen Flüchtlingsbootes zu repräsentieren, wobei Schicksal hier nicht nur die menschliche Tragödie der über 400 Ertrunkenen meinte, sondern auch die historischen Machtkonstellationen (vor allem die australische Flüchtlingspolitik) einschloss, die ein solches Unglück determinierten. Ibon Aranberri unternahm in seiner Diaprojektion eine Archäologie, welche das Baskenland in der Zeit nach Franco ins Bewusstsein rückte. Genauer ging es um die Formierung von Öffentlichkeit nach den bleiernen Jahren der Diktatur. Der Ausgangspunkt zivilgesellschaftlicher Mobilisierung war hier (wie an vielen anderen Orten Europas auch) die Errichtung eines Kernkraftwerks an der Küste. Mit einer künstlerischen Aktion, einem Feuerwerk (Adornos ästhetisches Paradigma!!!), versuchte Aranberri am Ort des inzwischen stillgelegten Meilers die kollektiven Kräfte von damals neu zu erwecken, wurde aber von der spanischen Polizei wegen Verdachts der Vorbereitung eines Anschlags verhaftet. Ines Doujak machte sich mit einer raumgreifenden Installation auf die Suche nach einer Alternative zu den Alternativen. Anläss­lich ihrer Ausstellung in der Wiener Secession (Sommer 2002) hatte sie für die Gay Pride-­Parade einen Wagengestaltet, der Homo­ sexualität oder Queerness anders denn als Abweichung von der hetero­sexuellen Norm propagierte. Ihre spektakuläre Wagenburg (im Rahmen der gleichen Ausstellung entstanden) versuchte sich an de rAusstellung der Norm als solcher.

Teilnehmer/innen: Ibon Aranberri, Bilbao; Andreas Siekmann, Berlin; Latifa Echakhch, Paris; Peter Friedl, Berlin; Ines Doujak, Wien; Andrea Geyer/ Sharon Hayes, New York City/ Los Angeles; Sanja Ivecovic, Zagreb; Rainer Oledendorf, Paris; Lisl Ponger, Wien; Alejandra Riera, Paris; Dierk Schmidt, Berlin; Simon Wachsmuth, Berlin