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Grenzbespielungen Performativität und Übergangszonen

Stephanie Kiwitt

Projektleitung: Beatrice von Bismarck, Simone Eberhardt (Hamburg)
Dauer: 25.–­27. Oktober 2002

Im Zentrum der Tagung internationaler KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen und der begleitenden Ausstellungstand die zum Raum erweiterte Grenze, die sich so als Ort für Handlungen und Verhandlungen anbietet. Verstanden alsein "Zwischenraum", soll damit an den um Grenzen geführten Diskurs der 90er angeknüpft werden; an die Stelle der Grenz­Übertretung wird allerdings der produktive Umgang mit dem Grenzraum, an dem die dies­ und jenseits herrschenden Gesetze außer Kraft gesetzt sind bzw. sich überlappen, treten. In welcher Form sich künstlerische Arbeitdieses topographisch ebenso wie metaphorisch verstandenen "Zwischenraums" bedienen und ihn zur Neubestimmungästhetischer, sozialer, ökonomischer, und politischer Verhältnisse nutzbar machen kann, wurde aus unterschiedlichen künstlerischen und wissenschaftlichen Perspektiven ­ denen der Kunstgeschichte, Kultur­ und Bildwissenschaften, Kultursoziologie, Philosophie und der Theaterwissenschaften ­untersucht.

Mit der Vorstellung von einem "Grenzraum" im Gegensatz zur "Grenzlinie" steht weniger das antagonistische Aufeinanderprallen zweier Kräfte oder Felder zur Diskussion, sondern Zonen des noch nicht oder nicht mehr Entschiedenen. Hier überschneiden und vermischen sich die Bestimmungen, die für die jeweils angrenzenden Bereicheprägend waren. Von "Überlappen und De­plazieren" spricht Homi Bhabha, um ­ im "Zwischenraum" oder im "Dritten Raum" ­ einen Verhandlungsort für kulturelle Differenzen zu auszumachen. Ihm geht es darum, Momente und Prozesseder Artikulation kultureller Unterschiede und darin wiederum das Potential für Veränderungen und Neuformulierungenzu verorten. Der "Dritte Raum" konstituiert, nach Bhabha, "die diskursiven Bedingungen der Äußerung, die dafür sorgen, dass die Bedeutung und die Symbole von Kultur nicht von Anfang an einheitlich und festgelegt sind und dass selbst ein und dieselben Zeichen neu belegt, übersetzt, rehistorisiert und gelesen werden können." Sein Akzent liegt auf Bewegungsmotiven, auf Abläufen der Interaktion, der Übersetzung, des Aushandelns, die sich nicht notwendiger Weiseim kontinuierlichen Rekurs auf vorgefasste Polaritäten, sondern zwischen und neben oder außerhalb von ihnen abspielen.

Die impulsgebende Fragestellung für Tagung und Ausstellung wurzelte in einem realen Raum, dem der Hochschulgalerie in Leipzig. Wenn man das besondere Potential eines in einer Kunsthochschule gelegenen Ausstellungsraum darin sieht, dass von hier aus eine Verbindung und Sichtbarkeit des Hochschul­Inneren nach Außen ebenso hergestellt werden kann, wie umgekehrt von Äußerem innerhalb der Hochschule, dann lässt sich diese Funktion auch metaphorisch fassen. So wenig, wie sich die HGB­-Galerie auf die Aufgaben, die etwa ein Kunstverein, ein Museum oder eine kommerzielle Galerie übernehmen, beschränken lässt, da sie einen spezifischen institutionellen Kontext besitzt mit einem zusätzlichen Publikum und einem andersgearteten Operationsfeld, so deutlich geht die Galeriearbeit auch über die Bedingungen und Verhältnisse hinaus, die für die sonstige Ausbildungs­ und Arbeitssituation an der Hochschule Geltung besitzen. Die angesprochenen Raum ­Metaphern hier zu bemühen, zielt mithin darauf, über die örtlichen physischen und institutionellen Gegebenheiten hinaus einen spezifisch künstlerischen Handlungsspielraum zu eröffnen, der von Grenzsetzungen auf ganz unterschiedlichen Ebenen ausgeht. In direkter Ableitung ergeben sich die Fragen nach dem Verhältnis künstlerischer Praxis und ästhetischer Erfahrung zur Wirklichkeit, zu anderen Gesellschaftsbereichen oder auch zu wissenschaftlichen Arbeits­ und Erkenntnisformen.

Welche Möglichkeiten bieten sich im Kunstfeld für eine differenzpolitische Bezugnahme und Wirksamkeit, mit der durch Grenzziehungen konstituierte und gefestigte Hierarchien und Machtverhältnisse von Geschlechtern, Rassen oder Nationen behandelt werden können? In welcher Form, aus welcher Position und zu welchem Zweck lassen sich kunstfeldintern tradierte Trennungen zwischen Medien,Orten, Institutionen oder Veranstaltungsformaten neu formulieren? Als eine Übergangszone, ein Zwischenbereich, könnte die Galerie einen solchen Verhandlungsort verkörpern, könnte die Verhandlungsprozesse überhaupt erst initiieren und sie schließlich auch partiell, ­ in flüchtiger Reihung der Bilder ­ auch repräsentieren.

Tagung und Ausstellung knüpfte an an die Thematik der seit 2001 laufenden Vortragsreihe mit Martina Löw (Berlin/Darmstadt), The Atlas Group (Beirut/New York), Ursula Biemann (Zürich), Harun Farocki (Berlin) und ChristianPhilipp Müller (New York) sowie das Ausstellungs­ und Veranstaltungsprogramm von "Spacing the Line", das die Galerieder HGB im April 2002 präsentierte. Grafisches Konzept: Markus Dressen