Wie kann man sich faschistischer Architektur fotografisch nähern, ohne diese dabei zugleich zu affirmieren? Wie fotografiert man diese in Stein gemeißelte Ideologie, ohne dass sich jene in den Bildern einschreibt und reproduziert?
Diese Fragen begleiten mich permanent in meiner Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, das die größten und historisch bedeutendsten noch erhaltenen Relikte nationalsozialistischer Architektur umfasst. Der Blick der Kamera ist in jenen Monumental- und Stimmungsbauten bereits inhärent, wurde in der Konzeption der Bauwerke schon berücksichtigt, wie diese auf Film- und Fotoaufnahmen wirkten – denn in der Ästhetisierung der faschistischen Politik spielte die Kamera eine zentrale Rolle. Bilder von Leni Riefenstahl und Heinrich Hoffmann prägen bis heute als „Dokumente“ maßgebend, wie wir im kollektiven Gedächtnis uns an das Dritte Reich und die Reichsparteitage erinnern – und ohne dass wir uns wirklich bewusst sind, haben sie auch Eingang in die Populärkultur gefunden: In Filmen, Serien, Comicbüchern und Computerspielen fluktuiert die nationalsozialistische, stilisierte Bildsprache der Massenaufmärsche und der Idealisierung des Monumentalen. Gerade in der Begegnung mit faschistischer Architektur sind wir daher in unserem Sehen bereits vorkonditioniert, wir alle sind nicht frei von jener faschsitsichen Bildästhetik, die Teil der Bildästhetik der Moderne ist – was für mich als Fotograf in der Auseinandersetzung mit jenen Gebäuden eine stetige Herausforderung bedeutet.
Wie begegnet man faschistischer Architektur als queerer Mensch mit Migrationshintergrund? Wie bewegt man sich durch dieses in Stein gemeiselte Postulat der „Volksgemeinschaft“, das mich nicht vorsah und mir die Zugehörigkeit aufkündigt? Jene Vorstellung ist auch heute noch prä- sent, auch wenn man das in Deutschland nicht offen zugeben möchte. Sie steckt in der Frage, woher man kommt - und die eigentlich darauf abzielt, aus welchem Land die Eltern stammen. Sie steckt in der Unterscheidung zwischen Bio- und Passdeutschen - und in der Forderung nach Integration, die kulturelle Merkmale und transkulturelle Identitäten abwertet, die nicht dem binnendeutschen Standard entsprechen. Sie manifestiert sich zuweilen in Gewalt – wie der Anschlag in Hanau, wo Menschen mit hybriden Identitäten ermordet wurden, da sie sich nicht auf nationalistisch-restriktiven Kategorien herunterbrechen ließen: So war Mercedes Kierpacz deutsche Romni mit polnischen Wurzeln, Ferhat Unvar war in Deutschland geboren und selbst noch nie im türkischen Herkunftsland seiner kurdischen Eltern und Said Nesar Hashemi besaß die deutsch-afghanische doppelte Staatsbürgerschaft. Doch in der völkischen Ideologie blieben es allesamt „Fremde“, die nicht in ein „reinrassiges“ Deutschlandbild gehörten, weswegen man sie getrost umbringen konnte. Anhand jenes nationalsozialistischen Postulats werden Körper auch heute noch hierarchisiert, als Aushandlungsprozess ist es Teil unserer postmigrantischen Gesellschaft – weswegen für mich als Fotograf mit Migrationshintergrund die Begehung mit jenem historischen Täterort eine stetige Herausforderung bedeutet.
Doch um welche Architekturen handelt es sich genau bei meiner fotografischen Auseinandersetzung mit dem Reichsparteitagsgelände?
Als Beispiele für den nationalsozialistischen Kulissenbau stehen die von Albert Speer konzipierte Zeppelintribüne und das umliegende Zeppelinfeld, wo sich etliche Paraden, Aufmärsche, Reden, Gelöbnisse und sportliche Darbietungen während der Reichsparteitage abspielten. Die 360 Meter lange und 20 Meter hohe Zeppelintribüne hatte zum Vorbild den Pergamonaltar – und ist eigentlich ein Ziegelbau, der lediglich mit Jurakalkstein verkleidet wurde. Die Haupttribüne im Zentrum hatte mit der sog. Führerkanzel eine altarähnliche Funktion - von dort oben schwang Hitler mit Bannern, Fahnen und Feuerschalen umringt seine Reden. Zwei nicht mehr existierende Pfeilerhallen verbanden den noch heute erhaltenden Mittelbau der Tribüne mit den abschließenden Baukörpern zu beiden Seiten – und verstärkten die Axialität des monumentalen Baus. Auf dem Dach der Zeppelintribüne krönte ursprünglich ein riesiges, vergoldetes Hakenkreuz, das 1945 von den USA während der Siegerparade symbolträchtig gesprengt wurde.
Das Zeppelinfeld ist wiederum das einzige noch erhaltene Aufmarschgelände der Reichsparteitage und steht im direkten Bezug zur Zeppelintribüne. „Ohne die Vergegenwärtigung dieser vom Nationalsozialismus geschaffene Form des Aufmarsches als politisches Mittel kann die Architektur nicht verstanden werden“, schreibt der Architekt und Kunst- historiker Wilhelm Lotz in Bezug auf das Gebäudeensemble. Das sog. Führerprinzip nimmt im Zeppelinfeld eine konkrete räumliche Form an, waren Zuschauerränge und Aufmarschfläche direkt auf die Führerkanzel ausgerichtet, zu der man aufzublicken hatte. Hier gliederten sich hierarchisch Körper nach Formationen und Rängen und hatten sich somit Hitler und der Parteielite unterzuordnen. Ein weiteres wesentliches Anliegen der Reichsparteitagsarchitektur war es, die sog. Volksgemeinschaft zu inszenieren. Die sieben Meter hohen Zuschauerränge mit den 34 beflaggten Türmen schlossen das Feld nach außen hin ab und erinnern nicht zufällig an eine Wehranlage. Auch der Lichtdom - Albert Speers Lichtinszenierung von 130 um das Feld und um die Zeppelintribüne aufgestellte Flakscheinwerfer, die bei Hitlers Eintreffen in den Himmel strahlten - sollte ein Gemeinschaftsgefühl hervorrufen und erlebbar machen. Während mit dem Appell des Reichsarbeitsdiensts und der Politischen Leiter militärischer Drill und Unterordnung durch das Ornament der Masse zelebriert wurde, stimmte man mit dem Tag der Wehrmacht anhand aufwendiger Kriegsschauspiele die Besucher*innen und Teilnehmenden auf zukünftige kriegerische Handlungen ein.
Nach dem Krieg nutzten zunächst die amerikanischen Truppen das Gelände unter dem Namen „Soldiers Field“ für Übungen, Paraden und Sportveranstaltungen. In der Nachkriegszeit wurden Tribüne und Feld für diverse Freitluftevents genutzt: so dienten schon 1946 und 1947 das Areal dem Deutschen Gewerkschaftsbund zur Feier des 1.Mais, 1953 und 1955 fanden hier die Heimattreffen der Sudetendeutschen Landmannschaft statt, 1969 der Weltkongress der Zeugen Jehovas und 1978 das Rockkonzert von Bob Dylan. Mit dem Norisringrennen und dem Festival „Rock im Park“ finden um die Zeppelintribüne jährlich zwei Großveranstaltungen statt, die sich jedoch nicht mit dem historischen Kontext kritisch auseinandersetzen. Mittlerweile ist die Zeppelintribüne in einem derart maroden Zustand, dass Sanierungarbeiten nötig wären. In der Debatte um die Frage nach dem Erhalt spielen die Kosten eine nicht unwesentliche Rolle, schließlich sprechen erste Schätzungen von einem Betrag von 73 Millionen Euro, um den Verfall zu stoppen. Aufgrund dessen gibt es Stimmen, wie die des Historikers Norbert Frey, die das Gebäude kontrolliert verfallen lassen wollen. Doch würde dieser Weg den Nationalsozialist*innen in die Hände spielen, formulierte Speer bereits 1969 seine Ruinenwerttheorie, in der der Verfall angeblich in der Ausstrahlungskraft der nationalsozialistischen Monumentalbauten mitkonzipiert wurde. Als Lern- und Aufarbeitungsort würde es sich lohnen, die Zeppelintribüne zu erhalten, doch auch da stellt sich die Frage, welchen Zustand des Gebäudes man wiederherstellen möchte. Sicherlich ist die ursprüngliche Form nicht die Erstrebenswerte.
Die Kongresshalle ist der größte noch erhaltene Baukörper des Reichsparteitagsgeländes. Dieses Relikt – nach den Plänen des Architekten Ludwig Ruff – lässt mit seinen Dimensionen (275 Meter lang, 265 Meter tief und 40 Meter hoch) den Größenwahn der Nationalsozialist*innen bereits erahnen und sollte die Luitpoldhalle für Parteikongresse ersetzen. Die Außenhülle besteht aus Granit, was den Ewigkeitsanspruch unterstreichen sollte. Dies bestätigt auch die Grundsteinrede Hitlers 1935: „Wenn aber die Bewegung jemals schweigen sollte, dann wird nach Jahrtausenden dieser Zeuge hier reden“. Entsprechend dienten als Vorbilder für den Bau das Kolosseum im Rom und das antike Amphitheater. Als größte Halle der Welt samt freitragendem Dach für bis zu 50.000 Teilnehmende wurde das halbrunde Gebäude propagiert – und selbst während des Krieges wurde unter Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern daran weiter gebaut. Doch mit Kriegsende nahmen die Konstruktionsarbeiten ihr jähes Ende, sodass die Kongresshalle ein unvollständiger Torso blieb.
Die Stadt Nürnberg hat sich stets schwergetan, einen angemessenen Umgang mit dieser Bauruine zu finden. Abreißen konnte man das massive Gebäude nicht, oder nur unter enormen Kosten, sodass die Stadtverwaltung stets zwischen pragmatischen Gebrauch und Ambitionen kommerzieller Nutzbarmachung pendelte. So nutzte man das Gelände als „Ausstellungsrundbau“ für die deutsche Bauaustellung 1949 und 1950 zur Jubiläumsfeier „900 Jahre Nürnberg“ – allerdings noch ohne dass die nationalsozialistische Vergangenheit des Gebäudes eine Erwähnung fand. Über Jahrzehnte war im Gespräch, die Kongresshalle als Fußballstadion auszubauen, was jedoch an der Finanzierung scheiterte. Das Vorhaben, daraus eine Shopping Mall zu machen, scheiterte wiederum am massiven Bürgerprotest. Seit 1953 finden zweimal im Jahr auf dem Vorplatz der Kongresshalle das Nürnberg Volksfest statt – und es bleibt erstaunlich und zeugt von einer gewissen Ignoranz, dass man einen Rummel an einem so prominenten Täterort abhält. Allerdings – das muss man auch erwähnen – konnte die Gestaltung des Reichsparteitagsgeländes zur größten Freizeit-und Grünfläche Nürnbergs die Vereinnahmung von Rechts entgegenwirken.
Dies geschah allerdings auch auf Kosten der geschichtlichen Aufarbeitung: Erst 1985 fand unter dem Titel „Faszination der Gewalt“ die erste Ausstellung über die Reichsparteitage Nürnbergs statt. Mit dem Dokumentationszentrum, das erst 2001 im nördlichen Kopfbau der Kongresshalle seine Pforten öffnete, gibt es nun endlich eine Institution, die sich kritisch mit diesem schwierigen Erbe befasst und Nürnbergs Rolle im NS-Staat untersucht. Hierfür realisierte der österreichische Architekt Günther Domenig einen Anbau, der bewusst auf die NS-Architketur reagiert und als dekonstruktivistischer Interventionsbau zu verstehen ist, der den Baukörper der Kongresshalle durch eine Art „Pfahl“ von 130 Meter Länge aus Glas, Stahl und Beton durchschneidet und mit einem asymmetrischen Quader auf dem Dach für Seminarzwecke zusätzlich aus dem Gleichgewicht bringt. Der südliche Kopfbau wiederum dient den Nürnberger Symphoniker als sommerliche Spielstätte – während bis zur Insolvenz 2009 die Firma Quelle den Torso als Lagerhalle nutzte.
Auch die Kongresshalle befindet sich zurzeit im Wandel, möchte die Stadt daraus ein neues kulturelles Zentrum à la Leipziger Spinnerei machen. Künstler*innenateliers will man zur Verfügung stellen und auch die Oper wird als Interimsstandort für einige Jahre in den Hallen der Kongress- halle spielen. Kritik daran findet sich selten, schließlich soll damit die kreative Szene Nürnbergs gefördert und das Gelände durch Kulturevents aufgewertet und bewirtschaftet werden. Ich habe meine Probleme damit, sehe das Vorhaben als massives Art Washing an, das das Areal als Täterort verschleiert und Nürnbergs Image aufpolieren soll. Warum muss man überhaupt an jenem Ort Kunst und Kultur heranziehen? Haben doch die Nationalsozialist*innen gezielt ästhetische und performative Praktiken genutzt, um ihre Ideologie zu verbreiten. Warum wird der Ort nicht für Organisationen genutzt, die sich für Demokratie oder gegen Rassismus engagieren? Das Reichsparteitagsgelände muss eine offene Wunde bleiben, an die sich jede Generation neu abarbeiten muss.
Als postmigrantische Ergänzung zu den beiden Architekturen aus dem Nationalsozialismus beziehe ich mich auf die Grundig Türmen. Auch sie stehen auf dem historischen Gelände der Reichsparteitage, allerdings sind sie erst Ende der 60er errichtet worden. Ähnlich wie die zuvor genannten Gebäude, behandeln auch sie gesellschaftliche Inklusion und Exklusion auf räumlicher Ebene. Das Thema Migration taucht im Diskurs um das ehemalige Reichsparteitagsgelände so gut wie gar nicht auf, obgleich es eng damit verschränkt ist. Und gerade die Grundig Türme sind dafür ein gutes Beispiel: errichtet wurden sie vom namensgebenden Unternehmen für Unterhaltungselektronik, um Gastarbeiter*innen, die im Werk Nürnberg-Langwasser arbeiteten, möglichst nah an den Fabrikhallen unterzubringen – eine Integration in die Mehrheitsgesellschaft war nicht vorgesehen. Nach dem Anwerbestopp wurden die Türme als Übergangslager für Aussiedler*innen und Spätaussiedler*innen genutzt – hier liegt auch mein eigener biografischer Bezugspunkt, kamen meine Eltern mit mir als Kleinkind in den 90er Jahren aus Rumänien in die Bundesrepublik, wo wir zunächst in jene Plattenbauten untergebracht wurden, nicht weit entfernt von der Zeppelintribüne. Die rumäniendeutsche Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Herta Müller schrieb über diese unmittelbare Nähe: „Wieso werden Menschen, die verstört aus Diktaturen kommen, ausgerechnet an diesem Ort gezwungen? Hat man sich über diese Nachbarschaft keine Gedanken gemacht? (...) Schämt sich Deutschland nicht, uns Neuangekommenen diese monströse Nachbarschaft als erste Bleibe zu präsentieren? Wurde dieses Übergangsheim womöglich nur »zweckmäßig« hierher gebaut, gefühlstaub gegenüber den Eingewanderten und geschichtsblind gegenüber der Rolle Nürnbergs in der Nazi-Zeit? Die Behörden drinnen, die Umgebung draußen – das war doppelt zweckmäßig.“
Und dieser Zweckmäßigkeit folgend, werden die Türme heute als Asylunterkünfte für Geflüchtete weiterverwendet, während – nur so am Rande erwähnt - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in der ehemaligen SS-Kaserne untergekommen ist.
Insofern machen diese drei Architekturen, die Zeppelintribüne, die Kongresshalle und die Grundig Türme, in ihrer Gegenüberstellung einen Raum auf, der nach dem Umgang mit dem materiellen, symbolischen und ideologischen Erbe des Nationalsozialismus fragt – und das aus einer postmigrantischen Perspektive.
Das Fotografieren vor Ort begriff ich dabei nicht als reines Abbilden, sondern als entschiedene Intervention mit der Kamera, die bewusst gegen den faschistischen Größenwahn vorgeht. Anhand stürzender Linien der perspektivischen Verzerrung und leichten Kippmomenten, gerät die Architektur der Zeppelintribüne ins Stolpern. Der Fokus aufs Detail dekonstruiert den Überwältigungsimperativ der Kongresshalle. Die Verwendung sowohl von Schwarzweiß und Farbe, als auch die Darstellung eines Motivs aus mehreren Blickwinkeln hinterfragen den dokumentarischen Evidenzanspruch in der Konstruktion von Raum. Im Rahmen auf den Boden lediglich an der Wand gelehnt oder als Bogen auf den Tischdisplay verschieben sich die Machtrelationen der Proportionen und das Fassadenhafte der faschistischen Architektur wird ersichtlich.