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Werner Tübke | Die Fünf Kontinente | Selbstzeugnis

Tübke im Selbstzeugnis

Werner Tübke wurde zeitgleich mit einer kritischen Besprechung seines Werkes in der Zeitschrift "Sonntag" im Jahre 1959 die Möglichkeit der Veröffentlichung eines eigenen Statements gegeben. Es wurde direkt neben der Rezension Horst Jähners abgedruckt.


Gegen Pinselschlenkerei

Für die bildliche Ausgestaltung des Speisesaales im Astoria-Hotel war mir unter anderem die Darstellung der fünf Erdteile empfohlen worden. Als ich mich für dieses Thema entschied, kam es mir darauf an, unter bewußtem Verzicht auf primär folkloristische Symbolik eine künstlerische Lösung zu finden, aus der das inhaltlich Gemeinte klar ablesbar ist. Dies war insofern ein schwieriges Unterfangen, als die einzelnen Erdteile bezüglich ihrer gesellschaftlichen Situation keineswegs auf einen Nenner gebracht werden konnten, vielmehr ihre politische Ungleichartigkeit sogar in sich und während der Arbeit an den Tafeln schwankte. Das beste Beispiel dafür ist Afrika. Da es mir unbedingt notwendig erschien, in diesem internationalen Hotel die gestellte Thematik politisch zu formen, mußte also das Ergebnis so sein, daß die gegenwärtige gesellschaftliche Situation klar erfaßt wurde und gleichzeitig damit eine Aussage da war, die über die tagespolitische Agitation und Propaganda hinausging.

Das wiederum schloß bei dieser Aufgabe die Möglichkeit aus, genreartig bestimmte Vorgänge zu schildern, ohne Gegenstände einzubeziehen, die dem Betrachter als Assoziationsbrücken dienen. Letzteres mußte sogar in hohem Maße benutzt werden. Dies hätte dazu verführen können, im Sinne von Diego Rivera die realistische Raumsicht zu leugnen und - unter Beibehaltung gegenstandsnaher Einzelheiten - ganze Formteile irgendwie formal-logisch wegzubiegen, um das Ganze zusammenzuhalten. Ganz bin ich dem nicht entgangen. Grund dafür waren Schwierigkeiten wie: die Sowjetunion in ihrer ganzen weltpolitischen Bedeutung zu zeigen. Aber wo dies unterbringen? Asien? Europa? Europa war naheliegend. Also eine Halbtafel mit einer klaren Schilderung vom Aufbau des Kommunismus in der UdSSR. Aber die Tafeln hängen in Leipzig, weshalb ich unsere engere Heimat nicht ausklammern wollte und darum unter dem Denkmal der Muchina zum Teil deutsche Menschen zeige.

Es sollte eine Malerei sein, die von der Erscheinungsform der Wirklichkeit ausgeht und dieselbe bei der Gestaltung nicht verliert. Denn zwei Knochenbrüche, impressionistische Verabsolutierungen des Lichtes, dicke Konturen, ein Zentimeter Palettendreck oder Pinselschlenkerei machen noch keine echte moderne Kunst. Zusammenhängend damit ergab sich für mich die Richtungstendenz in Fragen der Tradition. Die "Erkenntnisse" der spätbürgerlichen Moderne, daß alles in Licht und Luft getaucht ist und es allerlei Atelierrezepte gibt, mit denen sich trefflich spielen läßt, oder daß bei starkem Ausdruckswillen die gegenständliche Form entsprechend subjektiv verrückt werden muß und vieles mehr sind im Grunde Verabsolutierungen von Teilerkenntnissen und letzten Endes Äußerungsformen von Ausweglosigkeit und Isolierung.

Vorbild sind für mich vor allem die Meister der deutschen Renaissance, genauer gesagt solche Künstler, die mit der ganzen Fülle von Formwissen, Stilgefühl und handwerklich selbstverständlichem Können die sichtbare Erscheinungswelt in eben diese Tradition einbeziehen, diese also verändern, so daß selbst das kleinste Motiv nie Abbild ist, sondern getragen und durchdrungen wird von einer gesicherten, prägnanten Tradition. Insofern knüpfte ich dort an; nur fällt das seltsamerweise mehr auf als bei anderen etwa die Bereicherung des Lebenswerkes von Matisse und Slevogt um einige Krakelüren. Dies andeutungsweise zur Tradition. Es war das Ziel meiner Arbeit, mit den Mitteln der Malerei eine verständliche Aussage zur Zeit zu machen, auch oder gerade in einem Hotelrestaurant, die Gäste zum Denken und Handeln anzuregen.

veröffentlicht in der Zeitschrift "Sonntag", Nr. 39, 1959


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