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Marta Pohlmann-Kryszkiewicz

Und dann und wann

Abbildung
Schiffsschaukel, Cottaweg Kleinmesse, April 1974, (anonym), aus der Serie »Und dann und wann«, 2013

Die Fotocollage von Marta Pohlmann-Kryszkiewicz stellt eine Leipziger Kirmes bzw. einen Vergnügungspark und damit einen Ort vor, der selbst nicht im engeren Sinne ein Tatort eines NS-Verbrechens wurde. Dennoch war er auch schon vor und während der NS-Zeit in Betrieb, wie auf den verwendeten zeitgenössischen Fotografien erst deutlich wird, wenn man genauer herantritt und kleine Hakenkreuzfähnchen an einem Stand entdeckt. Durch die Auswahl gerade eines solchen Ortes für die Ausstellung »Orte, die man kennen sollte« ergänzt und erweitert Pohlmann-Kryszkiewicz die Perspektive für die Betrachter/innen entscheidend. Denn ihre Arbeit kann als implizites Plädoyer dafür verstanden werden, die Verbrechen und die zeitgenössische Ignoranz, Duldung oder gar Akzeptanz dieser, nicht nur an offensichtlicheren Tatorten festzumachen, an denen ein Gewaltverbrechen stattfand und möglicherweise Ruinen oder Spuren erkennbar sind. Genauso geht es bei der Erinnerungsarbeit auch darum, sich auf den beunruhigenden Gedanken einzulassen, dass ein solches verbrecherisches System nicht nur über Angst und Schrecken und in Bedrohungssituationen funktionierte, sondern gerade durch seine Alltäglichkeit, zu der Trivialisierung und Verdrängung des Unrechts gehörte. Diese wurden oft als »in schwierigen Zeiten notwendige Übel« verbrämt, von denen man sich gerade an einem wie in den Bildern gezeigten Ort ablenken lassen konnte. Außerdem ist der Jahrmarkt, die Kirmes oder auch der Vergnügungspark bis heute ein Ort, an dem man außeralltägliche Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen sucht und mit dem für viele Kindheitserinnerungen verbunden sind. Die Bildauswahl konzentriert sich vor allem auf die Motive des Karussells und des Riesenrades, deren zentrale Eigenschaften in der Struktur ihrer Collage kompositorisch aufgegriffen werden. Das funktioniert, indem sie den Blick der herangetretenen Betrachterin durch die Anordnung der Einzelbildausschnitte und Bilder in eine kreisende Bewegung versetzt, wenn er oder sie sich auf die Blickführung einlässt, die sich aus dem jeweils festgehaltenen Bewegungsmoment ergibt. Das zweite Foto von oben rechts zeigt beispielsweise eine Nahaufnahme eines nach links fliegenden Schiffchens. Diese legt die gedachte Fortsetzung seiner Bewegung, die durch die wehenden Haare und die Schräglage der Passagierin deutlich wird, besonders nahe. Beim zweiten Bild von links unten wiederum fliegen die Kettenkarussellsitze entweder aus der Collage heraus oder in sie hinein, sowie beim Schiffchen in der Mitte der unteren Reihe, das gerade über Kopf durch die Luft fliegt und damit den unteren Bildrahmen dadurch aufbricht, dass es diesen als Schwungachse vorstellbar werden lässt. Die Karussells und Riesenräder sind auch aus mehreren unterschiedlichen Richtungen in Gänze zu sehen, was der Gesamterscheinung der Collage weitere kreisende Dynamik verleiht. Die zwischen diesen Bildern eingebrachten Aufnahmen der Besuchermenge betonen schließlich das nicht nur individuelle, sondern auch gemeinschaftliche Erlebnis der Familie oder anderer sozialer Gruppen an diesem Ort. Irritiert stellt der Betrachter schließlich fest, dass die Fotografien trotz ihrer suggestiven Vermischung unterschiedlichen Zeiten, nämlich den 1910/1920er Jahren, dem Dritten Reich sowie der Nachkriegszeit in der DDR, entstammen und so über die NS-Zeit hinausweisen. Dies wird dadurch unterstrichen, dass die Farbfotografien eben nicht die jüngsten Aufnahmen sind. Gerade aus dem Zusammenhang massenmedialer Präsentation historischer Fotodokumente ist man üblicherweise durch andere Erwartungshaltungen »voreingestellt«.

Text: David Sittler

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