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Melody Panosian

Füllung

Abbildung

Die Installation besteht aus 32 Videostills und 32 Audiospuren. Jede Audiospur auf dem Touchscreen ist mit einem Videostill verbunden. Der Touchscreen als Audioarchiv enthält Interviews, Gedichte mit den drei Teilnehmer/innen und den Sound der Orte selbst. Aber gibt es einen Ort ›für sich selbst‹? Für das Projekt »Orte, die man kennen sollte« waren wir als Teilnehmer/innen aufgefordert, Orte der NS-Vergangenheit in Leipzig für ein Buch zu dokumentieren. Ein Buch, das von der Stadt Leipzig initiiert war. Anstatt dokumentarische Bilder zu machen, filmte ich drei Fotografen während ihrer Exkursionen zu Gedenkstätten. Die Produktion der dokumentarischen Fotos, deren gewisse künstlerische Qualität und Subjektivität interessierte mich. Es geht um die Perspektive der ersten Person, in der Welt zu sein. Gleichzeitig geht es um meine Beobachtung der Beobachtung. Die Videostills in der Installation stammen aus dem gefilmten Material, das ich während dieser Exkursionen aufgenommen habe: Kleingartenanlage Johannistal, Denkmal für die Opfer des Massakers in Abtnaundorf, Mittelschule und Zwick’sche Siedlung und Mitteldeutsche Motorenwerke (MiMo) in Taucha. In Kombination mit den Audiospuren haben sie eine phänomenologische Ästhetik. Wie geht man mit einer Gedenkstätte um? Welche Materialien findet man dort? Wie kann man den Ort finden? Wer erinnert an wen? Für mich fängt ethische Verantwortung beim Individuum selbst an. Bewusst oder unbewusst trifft man als Künstler/in politische Entscheidungen, und der direkte Bezug ist die Ästhetik und was für Werte sie enthält. Während der Jubiläumsfeiern in Leipzig 2013 für Richard Wagner sollte Deborah Jeromins Kunstwerk, das die Form eines Bauschildes hat, am Richard-Wagner-Hain ausgestellt werden (vgl. S. 33). Es wurde vorher mehrmals über die Jubiläumsfeierlichkeiten bei den Orte-Treffen der Gruppe gesprochen. In einem Interview mit mir sagte Deborah, dass ihr Kunstwerk im besten Fall eine Fragestellung provozieren könnte und im schlimmsten Fall eine Reproduktion des Hains. Dieser sollte zur NS-Zeit zu einem nationalen Denkmal werden, Wagner war eine kulturelle Symbolfigur im Nationalsozialismus. Wenn man nach dem Zweiten Weltkrieg diese Symbolfigur, die Werte, die dieses Konstrukt enthält, feiert, wird Wagners 200. Geburtstag seine Wiedergeburt als unpolitischer Künstler sein. Deborah Jeromins Bauschild durfte nicht im Richard-Wagner-Hain ausgestellt werden. Die Stadt Leipzig hatte es verboten. Als Begründung wurde angegeben, dass das Bauschild »für Ratlosigkeit beim Betrachter« sorgen würde. In einer autoritären E-Mail erklärte die Stadt Leipzig, dass die Wirkung des Kunstwerks nicht wünschenswert sei, »…Provokation hin, Intervention her…«, und empfahl der Künstlerin, »eine andere Form zu finden, die mit dem Ort vertraut macht.« Deborah traf daraufhin die Entscheidung, ihr Kunstwerk mobil zu machen. Wer regiert heute den öffentlichen Raum in Leipzig? Der öffentliche Raum wird durch die politischen Parteien, die Stadtregierung und Verwaltung sowie durch die wirtschaftliche Macht geregelt. Der Informationsstrom der Massenmedien, die Unterhaltungsindustrie sowie die Werbung nehmen viel Platz ein. Zeitgenössische Kunst hat einen begrenzten Platz. Im Rahmen der freien Kunst im öffentlichen Raum als Akteur selbstbestimmt handeln zu können, ist etwas, das man schützen muss! Nach der Eröffnung der Orte-Ausstellung trieb mich ein Gefühl der Leere um. Ich fand es absurd, in diesem Verbotskontext an einer Ausstellung über die NS-Vergangenheit in Leipzig teilzunehmen. Wie kann es sein, dass gerade im Zusammenhang einer solchen Ausstellung ein Kunstverbot ausgesprochen wird? Für wen haben wir die Ausstellung gemacht? Aus dieser Dissonanz entstand eine neue Präferenz: die aktive Wahl, mein Kunstwerk von der Ausstellung aus Protest zurückzuziehen. Ich verstand langsam, dass die Arbeit von Deborah wegen ihrer Souveränität verboten wurde.

Text: Melody Panosian

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