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Erinnern an die Verbrechen der NS-Zeit als Erinnerungs-Bilder-Verkehr

Künstlerische Beiträge zur Entstehung eines lebendigen kulturellen Gedächtnisses

David Sittler

Die Ausstellung »Orte, die man kennen sollte – Spuren der nationalsozialistischen Vergangenheit in Leipzig« fußt auf der Überzeugung, dass die öffentliche Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen durch das Aussterben der Überlebenden noch weniger ein Selbstläufer ist, als bisher oft angenommen wurde. Nach etwa dreißig Jahren der sich intensivierenden Diskussionen um Erinnerungsorte, Formen des Gedächtnisses, Vergangenheitspolitik und weitere Dimensionen der Vergangenheitsbewältigung[1]Einen sehr guten Überblick über Diskussionen und Geschichte der »Vergangenheitsbewältigung« bietet: Torben Fischer/Matthias N. Lorenz (Hg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2008. Für einen Überblick über die Forschungen zur Erinnerungskultur in den Geschichtswissenschaften siehe: Christoph Cornelißen: Erinnerungskulturen. Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.10.2012, http://docupedia.de/zg/Erinnerungskulturen_Version_2.0_Christoph_Corneli.C3.9Fen?oldid=84892. In dem Erinnerungsorten gewidmeten größten Buchprojekt auf Deutschland bezogen: Hagen Schulze/Étienne François (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte Gesamtausgabe. 3 Bände, München 2008, geht es nicht nur um konkrete Schauplätze, sondern auch um Topoi und vor allem um wesentlich mehr als nur die NS-Zeit. Insbesondere die Gedächtnisdebatten um 2000 werden deutlich, siehe auch: Lucian Hölscher: Die Grenzen der Erinnerung und die historische Bedeutung des Vergessens. Kapitel 2 in: Ders.: Semantik der Leere. Grenzfragen der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2009. Zu Geschichtspolitik siehe u.a.: Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948 – 1990, Darmstadt 1999. kann sie sich weder darauf verlassen, dass Erinnerungsorte für sich selbst sprechen und in ihren Deutungen ohne Pflege stabil und im Bewusstsein bleiben. Genauso wenig kann sie wissenschaftlichen Expert/innen allein überlassen werden. Die Künstler/innen leisten einen spezifischen und wichtigen Beitrag dazu, neue zeitgemäße Formen des öffentlichen Erinnerns zu finden und die Entstehung eines lebendigen kulturellen Gedächtnisses[2]Unter kulturellem Gedächtnis werden seit der Etablierung des Begriffs durch Jan und Aleida Assmann in den 1990er Jahren Bilder, Traditionen und alle anderen kulturell verfestigten Formen der Repräsentation von Vergangenheit bezeichnet, die nicht (mehr) von noch lebenden Zeitzeugen im Rahmen eines generationsgekoppelten kommunikativen Gedächtnisses weitergegeben werden (können). Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 2006, S. 19. mit ihren Angeboten zu befördern. Ihre künstlerisch umgesetzten Erkundungen der Spuren und Orte von NS-Verbrechen in und um Leipzig, viele der dortigen Gedenkstätten, Mahnmale und Tatorte sowie nicht zuletzt ihre Beobachtungen zum gesellschaftlichen Umgang mit diesen und mit der NS-Vergangenheit Leipzigs laden dazu ein, Erinnerungspraktiken kritisch zu reflektieren. Die ästhetisch-künstlerische Art der Auseinandersetzung ist dabei kein bisschen weniger ernsthaft als diejenige von Historikern oder Gedenkstättenmitarbeiter/innen. Sie will auch nicht mit diesen konkurrieren, vielmehr geht es den Künstler/innen komplementär zur Arbeit dieser anerkannten Experten darum, das genuine Potential der Kunst für die Erhaltung der Gegenwärtigkeit der Erinnerung an die NS-Verbrechen in der Bevölkerung zu nutzen.

Trotz der Konzentration der Arbeiten auf Orte nationalsozialistischer Verbrechen in Leipzig haben sie nicht ›nur‹ lokale Bedeutung und erschöpfen sich nicht in einer Untersuchung der noch oder nicht mehr vorhandenen Spuren und Mahnmale. Sie verdeutlichen erinnerungspraktische Lebendigkeit oder Dysfunktionalität solcher Erinnerungsorte zum Beispiel in Form ihrer unterschiedlichen Eingebundenheit in öffentliche Gedenkrituale, wie insbesondere organisierte Besuche und Kranzniederlegungen zu Jahrestagen. Gerade in solchen Momenten werden solche Orte, wie beispielsweise KZ-Außenlager, Teil einer gemeinsamen Reise der Gedenkenden – wenn schon nicht in die Vergangenheit, so doch zu einem Ort, an dem Opfer umgebracht wurden oder gelitten hatten und Spuren des Schauplatzes verblieben sind. Künstler/innen nehmen zum Teil – wie etwa bei der Arbeit »Abtnaundorf« – die An- und Abreise ebenso wichtig wie das ›eigentliche‹ Ritual vor Ort. Dadurch lassen sie den logistischen Aspekt des Erinnerns als Praxis hervortreten. Andere Arbeiten spüren der Vernachlässigung, Beschädigung oder Veränderung bzw. dem Wandel von Mahnmalen nach, die so nicht mehr nur auf das zu erinnernde schreckliche Ereignis und seine Opfer verweisen, sondern auch auf das Eigenleben des Umgangs oder – wie ich vorschlage – Verkehrs der Sich-Erinnernden mit diesen materiellen Erinnerungsträgern. Diese Erinnerungsträger funktionieren, wie die Ausstellung zeigt, als locating media of memory. Das Konzept der locating media ist in Folge der medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem spatial turn – einem neuerstarkten Interesse an Raum und Räumlichkeit in den Sozial- und Geisteswissenschaften – entwickelt worden. Darunter werden verortende oder situierende Medien bzw. Medien der Orientierung und Lokalisierung verstanden.[3]»Locating Media« nennt sich das DFG-Graduiertenkolleg 1769 an der Universität Siegen, das dieses Konzept in interdisziplinärer Perspektive entwickelt. Zu den konkreten Anwendungen des Konzepts siehe beispielsweise: Regine Buschauer/Katharine S. Willis: Locative Media/ Medialität und Räumlichkeit. Multidisziplinäre Perspektiven zur Verortung der Medien/Multidisciplinary Perspectives on Media and Locality, Bielefeld 2013. Die sich daraus ergebenden Überlegungen möchte ich in die Diskussion zu Erinnerungsorten und -praktiken einbringen, da ich glaube, dass die Kunstwerke diese verortenden Aspekte des Erinnerns zu Recht besonders herausstellen. »Orte, die man kennen sollte« führt Erinnern als gesellschaftliche Praxis vor, als durch Gedenktage sowie durch Infrastruktur und schließlich ästhetische Gestaltung rhythmisiertes und zeitlich begrenztes, mehr oder weniger ritualisiertes Begegnen mit Menschen, Settings, Gedenk-Markierungen und Spuren nationalsozialistischer Verbrechen. Durch das Überschreiten der Grenzen der Tat- und Gedenkorte, an denen Rituale des Erinnerns stattfinden, Spuren bewahrt oder Mahnmale aufgestellt worden sind, machen die Arbeiten erfahrbar, dass die Gegenwärtigkeit und Bedeutsamkeit solcher Plätze aktive Beteiligung erfordert, die mit Bewegungen und bildförmigem Bedeutungstransport verbunden ist. Diese Bewegungen und Transporte nenne ich Erinnerungs-Bilder-Verkehr, denn es handelt sich um vielfache Bewegungen nicht nur von Personen und Bildern im engeren Sinne, sondern um verschiedene medial vermittelte Übertragungen auch der Erinnerungsorte selbst, die gewissermaßen mobilisiert werden.

Zudem hat sich in den letzten Jahren verstärkt eine Tendenz zur Mobilisierung von Medien gezeigt, die vorher ortsgebundener benutzt wurden. Auf die Fragen und Probleme der Pflege und Erhaltung des Gedenkens an die Naziverbrechen übertragen lag es daher für die Künstler/innen nahe, sich nach den Medien zu fragen, die bei Erinnerungspraktiken zum Einsatz kommen, und sich zu fragen nach dem Zusammenhang von Beweglichkeit, Zugang oder Anschluss von Erinnerungsorten an Verkehrssysteme, Datenströme und den gesellschaftlichen Alltag. Zugespitzt befassen sich die Beiträge mit dem Zusammenhang zwischen Unvergesslichkeit bzw. Denkwürdigkeit und Erinnern als eigener Bewegung durch potentielle und ausgewiesene Erinnerungsräume. In einen so verstandenen Erinnerungs-Bilder-Verkehr sind innere Bilder ebenso einbezogen wie verschiedene materielle Bildträger. Der Bedeutungszuwachs situierender Medien der Erinnerung ist neuerdings auch daran erkennbar, dass es sogar eine kostenlose App »Erinnerungsorte« der Bundeszentrale für politische Bildung gibt, die Nutzer/innen ermöglicht, deutschlandweit Gedenkstätten, Mahnmale und Orte nationalsozialistischer Verbrechen aufzufinden.[4]http://www.bpb.de/shop/multimedia/mobil/146941/app-erinnerungsorte, 22.09.2013.

Die Ausstellung dokumentiert nicht nur den Wandel von Erinnerungspraktiken bzw. der Gestaltung von Mahnmalen und Gedenkstätten. Sie ermöglicht, sich Erinnerungsorte, die offiziell unter anderen Bedingungen zu einer anderen Zeit als Mahnmale eingerichtet wurden, ebenso wie Orte, die als Tatorte (fast) vergessen sind, durch einen ästhetischen Zugriff zu erschließen. Die Arbeiten nehmen Perspektivverschiebungen vor, die sie zugleich selbst thematisieren. Dabei spielen Medien der Verortung und Situierung von Gedenk- und Erinnerungsorten eine wichtige Rolle.

1. Mitwirken am Erinnerungs-Bilder-Verkehr

Martin Haufe hat mit seiner Arbeit »einen ort erscheinen lassen« eine mehrschichtige Kartographie der Mechanismen, Diskursfelder, sozialen Akteure und Netzwerke vorgelegt, die es ermöglicht, dass ein Erinnerungsort eine lokalisierte konkrete Gestalt annehmen kann. Abstrakte Felder wie Wissenschaft und inhaltliche, aber auch methodische Fragen wie die nach der Abbildbarkeit kann man zum Teil als verortete Kreisläufe im Erinnerungs-Bilder-Verkehr erkennen. Diese Wirkungsgeflechte werden in ihrer Simultaneität anschaulich. Es zeigt sich, dass z.B. Gedenkstätten von den Kraftfeldern der Erinnerungsdynamik überlagert werden und sich innerhalb dieser etablieren oder behaupten müssen. Es wird im Sinne des Erinnerungs-Bilder-Verkehrs deutlich, dass Diskurse und Initiativen mit manchen Orten aktuell direkt in Verbindung stehen oder Aufmerksamkeit erhalten, andere eher als abseits erscheinen.

Der Beitrag von Susanne Kaiser, der an das Euthanasieopfer Josef Faust erinnert, ist dem bisher nicht als Gendenkort ausgezeichneten Gelände der Universitäts-Kinderklinik gewidmet. Ihre Konzeption des Beitrages an zwei Ausstellungsorten, die durch einen Postkarten-Verkehr verbunden werden, verdeutlicht eindrücklich nicht nur die Prozessualität jedes und insbesondere öffentlichen Erinnerns, sondern entschleunigte den Rezeptionsprozess für die Betrachtenden stark, indem sie performativ den Zugang zu dem von ihr ausgewählten Einzelschicksal erschwerte. Außerdem forderte sie ihr Publikum zur persönlichen Teilnahme an dem spezifischen Erinnerungs-Bilder-Verkehr zu den Ausstellungsstätten auf. Das Werk blieb dabei offensichtlich für die Betrachter/innen Fragment, es verweigerte sich dem beiläufigen Zugriff und widersprach jeder Suggestion von Unmittelbarkeit und Anschaulichkeit, die Originaldokumenten, -objekten und -schauplätzen oft zugeschrieben wird. Zugleich erinnerte die nur langsam durch die Mitwirkung vieler Besucher/innen als Stellvertreter der Gesellschaft zusammenwachsende Collage an die Unvollständigkeit des repräsentierten Schicksals und an die bleibende Unvollständigkeit, Instabilität und Reproduktionsbedürftigkeit der gesellschaftlichen Erinnerung an alle Opfer der NS-Verbrechen. Dieses Arrangement machte erfahrbar, dass Opferschicksale nicht allein erfasst werden können, indem historische Dokumente und Forschungen über Opferzahlen nachgelesen und Orte aufgesucht werden. Die Vorstellungskraft, die nötig ist, um sich wirklich auf Schicksale der beteiligten Opfer – aber auch der Geschichten ihrer Peiniger und Mörder – einzulassen, erfordert eine Konzentration, die nicht auf Vollständigkeit aus ist. Es geht dabei darum, dass man persönlich Aufmerksamkeit gezielt auf die entsprechenden betreffenden Menschen richtet und so das Nachvollzogene näher an sich heranlässt. Die verstörende Scheinlegitimität der Morde im Dienste der Euthanasie wird erst durch eine solche persönliche Einlassung besonders beunruhigend und berührend. Erst bei einem solchen performativ-angeregten empathischen Nachvollzug wird spürbar, dass solche Verbrechen Teil des Alltags waren. Außerdem bedurften die medizinisch verbrämten Ermordungen der Absehung von der Individualität und Menschlichkeit des Opfers. Der scheinbar triviale Akt des konzentrierten Entzifferns als aufmerksamer Vergegenwärtigung eines Schicksals wird so gegenüber einer mechanischen Kenntnisnahme vieler angesammelter Fakten hervorgehoben. Der Ort der Kinderklinik muss mit dem zu Erinnernden genauso immer erst mit Mühe wieder verbunden werden wie mit der eigenen Phantasietätigkeit, die einem solchen Text, Objekt oder einer Spur ihre Bedeutung wieder verleiht.

Auch Aude Benhaïms und Juliane Jägers Videoinstallation präsentiert einen Ort, an dem sich nicht erkennen lässt, dass hier Rüstungsproduktion mit Zwangsarbeitern stattfand und Menschen grausam behandelt wurden. Auf einer der zwei Tonspuren ist ein Vereinsmitglied der »Mandan-Indianer« zu hören, die hier nach dem Krieg aktiv waren. Der gezeigte Waldrand wird zum Ansatzpunkt einer unheimlichen Erzählung von den Erd- und Bauarbeiten – einer Tätigkeit, die ausgerechnet durch KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter im NS-Lagersystem besonders häufig ausgeführt werden musste[5]Eine besonders eindrückliche Beschreibung solcher Erd- und Kiesarbeiten findet sich in den zur Lagerstudie ausgearbeiteten, zeitnah verfassten und erschienenen Erinnerungen Paul Martin Neuraths. Ders.: Die Gesellschaft des Terrors. Innenansichten der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, herausgegeben von Christian Fleck und Nico Stehr, Frankfurt a.M. 2004, S. 50 – 53. – und der Wiederherrichtung eines Gebäudes knapp 20 Jahre nach dem Krieg. Der Erzähler erwähnt verkohlte Reste des Gebäudes, in dem er und andere als Kinder gespielt hätten, ohne dies zu reflektieren oder zu kommentieren. So blitzen winzige Spurenreste als Erinnerungs-Bilder aus unterschiedlichen Zeitschichten in seiner Erzählung auf, die wie der Waldsaum nicht scharf abgegrenzt, sondern in die Erinnerungstextur rund um den Aufbau des Gebäudes des Indianervereins verwoben sind. Die Zuhörer werden so in einen Erinnerungs-Bilder-Verkehr mit diesem Ort verwickelt.

2. Buchstäblicher Erinnerungs-Bilder-Verkehr

Sophia Kesting zeigt Fotoprojektionen vom Hin- und Rückweg zur Gedenkfeier im Außenlager Abtnaundorf am 27. Januar 2013 und macht deutlich, dass auch diese Fahrt selbst Teil des Erinnerungsrituals ist. Die Bilder zeigen nur und explizit die Strecke, die den Gedenkort mit dem Leipziger Neuen Rathaus verbindet. Man kann nachempfinden, wie sich schon im Bus eine temporäre Erinnerungsgemeinschaft formiert und nicht erst am Erinnerungsort selbst. Komplementär dazu macht die Videoinstallation »Abtnaundorf« von Jakob Argauer, Danny Degner, Melody Panosian und Jakob Wierzba die von ihnen am Gedenktag organisierte Liveübertragung gerade des Gedenkrituals am Mahnmal außerhalb der Stadt auf eine Leinwand im Neuen Rathaus nachvollziehbar. Alle drei Arten bewegter und bewegender Erinnerungs-Bilder – performiert vor Ort in Abtnaundorf, live übertragen und virtuell präsent im Rathaus sowie beides wiederum abgefilmt in der Ausstellung anzusehen – machen deutlich, dass die Erinnerungsorte auch selbst transportiert werden und dass dies so sein muss, wenn sie in Erinnerung der Vielen bleiben sollen. Die Fotoarbeit Torsten Hattenkerls befasst sich mit Straßennamen, die Widerstandsheld/innen ehren. Hier ist der Bezug der Erinnerten zu den konkreten Orten nur durch die erinnerungspolitische Funktion gegeben und nicht mit einem NS-Verbrechen verbunden, das auf der jeweils so benannten Straße geschehen ist. Die Orte der Anbringung dieser Namen verleihen ihnen zwar dauerhaft alltagsnahe Sichtbarkeit. Deswegen sind diese Medien des Gedenkens jedoch noch nicht unbedingt mit mehr Aufmerksamkeit bedacht, wie die ausgewählten Motive zum Teil mit einer Art kritischen Ironie verdeutlichen. Im Zusammenklang mit den anderen Arbeiten fällt besonders auf, dass die so Erinnerten, die während der NS-Zeit in die Unsichtbarkeit des Untergrundes inmitten der Stadt und der Gesellschaft gezwungen waren, so nun mitten in der Gesellschaft symbolisch präsent sind. Dass sie dennoch ohne die Aufmerksamkeit dieser Dokumentation zumeist übersehen werden, ist ein tragischer geisterhafter Nachhall ihrer Unsichtbarkeit während der NS-Zeit. Torsten Hattenkerl erinnert an das Potential solch unscheinbarer Erinnerungsmedien, die durchaus immer wieder Ansatzpunkte für Nachfragen und für individuellen Erinnerungs-Bilder-Verkehr im öffentlichen Raum bilden.

Die Arbeiten zeigen alle auf die eine oder andere Weise die Unsichtbarkeit der Vergangenheit und machen insofern bewusst, dass diese als vergangene Gegenwart nur mit Hilfe unserer aktuellen reflektierten Gegenwärtigkeit vorzustellen ist. Die Arbeiten führen einen bewusst individuellen und dennoch kritischen Umgang mit der Fragmentiertheit der Überlieferung wie der Überreste und eine Nutzbarmachung der Ortsbezogenheit des Erinnerns vor, ohne dass dieser dadurch beliebig würde. Erinnerung wird als eine mindestens imaginäre Bewegung deutlich, und kollektive Erinnerung scheint am ehesten als multisubjektive gesellschaftliche Verkehrspraxis fassbar. Die Künstler/innen erweisen sich als Spezialist/innen für die Medien der Verortung von Erinnerung: Re-Inszenierungen, Kartierung, Reflektionen der Ortsspezifik und Mittel behutsamer Aufmerksamkeitserzeugung in Bezug auf die Wahrnehmungsvorgänge im Umgang mit und beim Aufsuchen von Erinnerungsorten. Viele der Arbeiten verschränken textuelles Erinnern und Erinnerungsortserkundung als Bildgebungsprozess. Paradoxerweise bleiben Orte, wie die Ausstellung erfahrbar macht, nur bekannt, wenn sie ebenso mobilisiert werden wie ihre Besucher. Die verkehrsförmige Synchronisierungsleistung ist immer wieder zu vollbringen und kann von der Kunst entscheidende Impulse erhalten. Trotz aller Unterschiede kann man alle Arbeiten als Einladung zu einer aktiven Teilnahme am Erinnerungs-Bilder-Verkehr verstehen, der zwar nicht erst mit dieser Ausstellung eingesetzt hat, aber auch nicht mit ihr endet.

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