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Mandy Gehrt

Erbstücke

Abbildung
Foto: Lina Ruske

Im Rahmen meiner Recherchen zum KZ-Außenlager am Wolfswinkel stieß ich im Markkleeberger Archiv auf ein altes vergilbtes Fotoalbum mit der Überschrift »Ein Mahnmal entstand in Markkleeberg«.[1]Alle Zitate sind aus dem Fotoalbum »Ein Mahnmal entstand in Markkleeberg« von 1965 entnommen, Album ohne Archivnummer oder Archivsignatur, Stadtarchiv Markkleeberg.

Der Text berichtet über die Bemühungen einiger »VdN-Kameraden«[2]VdN: Verfolgte des Naziregimes, ein »Mahnmal für die Opfer des Faschismus« zu errichten. Grund dafür war die Annahme, dass sich in Markkleeberg ein »KZ-Nebenlager« befand, in dem »jüdische Frauen hinter elektrisch geladenem Stacheldraht gefangen gehalten« wurden. Außerdem lebten nach Angabe des Verfassers im Jahr 1965 noch »60 VdN-Kameraden und Hinterbliebene in Markkleeberg.« Diese Tatsachen sprachen für die Realisierung des Mahnmals, wofür dann in der Be­völkerung geworben und Geld gesammelt wurde. Modelle wurden entworfen und ein »Baustab« gebildet, der helfen sollte, »alle Schwierigkeiten zu überwinden«. Aus »örtlichen Mitteln und Kräften« sollte das Mahnmal gebaut werden. Die Stadt, Institutionen, staatliche und halbstaatliche Betriebe sowie Privatunternehmer und andere Einzelpersonen unterstützten den Bau. 24.000 Mark wurden schließlich zusammengetragen.

»Am 8. Mai 1965, dem 20. Jahrestag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus, konnte das Mahnmal auf dem Platz der Einheit in Markkleeberg unter breiter Teilnahme der Bevölkerung mit einer Kranzniederlegung eingeweiht und der Öffentlichkeit übertragen werden.«

Als wir im Sommer 2012 die Anlage fotografisch dokumentierten, war das Denkmal verwaist. Der Schriftzug »DIE TOTEN MAHNEN« wurde laut Aussagen der Stadt schon in den 1990er Jahren aufgrund von Vandalismusschäden demontiert. Die Feuerschale fehlte ebenfalls. Der graue Betonklotz mit dem roten Dreieck stand nunmehr reduziert auf seine abstrakten geometrischen Formen völlig inhaltsleer im öffentlichen Raum und zeugte nur noch von einer vergangenen Gedenkkultur, vergangenen Ideologien und Ritualen.

In diesem Zusammenhang drängten sich Fragen nach dem Umgang mit der Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse während des Nationalsozialismus und mit den damit verbundenen authentischen Orten auf. Wann überlebt sich eine Form der Gedenk- und Erinnerungskultur? Sind traditionelle Formen des Gedenkens und Erinnerns wie Mahnmale und Rituale zukunftsfähig? Welche Formen und Formate braucht eine zeitgemäße Erinnerungskultur, die auch zukünftige Generationen erreichen soll? Welche Themen soll die Erinnerung an die Vergangenheit vermitteln?

Meine künstlerische Arbeit gibt am Beispiel des ehemaligen »Mahnmals für die Opfer des Faschismus« diese Fragen nach der Aktualität und Zukunftsfähigkeit der bisherigen Gedenkkultur an Markkleeberger Bürger/innen weiter. 20 Markkleeberger/innen im Alter von 18 bis 80 Jahren wurden sowohl zu dem Mahnmal von 1965 befragt als auch dazu, was ihrer Meinung nach mit dem Denkmal am Rathaus zukünftig passieren solle. Brauchen sie/wir es überhaupt noch? Die Antworten hätten unterschiedlicher nicht sein können. Aus Auszügen dieser Interviews, dem Archivmaterial und einem Dokumentationsfoto ist ein Buchobjekt entstanden, dessen Größe und Format ebenso sperrig ist wie das Thema selbst. Die Betrachter/innen müssen sich regelrecht ›durcharbeiten‹.

Mit einer Plakataktion im öffentlichen Raum Markkleebergs sollte darüber hinaus der ›leere‹ Gedenkstein am Rathaus visuell wieder in das Gedächtnis der Anwohner/innen gerückt werden.

Text: Mandy Gehrt

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