Dieter Daniels :: Kunst als Sendung
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Dimitri Liebsch

Kunst als Sendung

Mit seiner Monographie Kunst als Sendung. Von der Telegrafie zum Internet hat Dieter Daniels eine erfrischend unzeitgemäße Studie vorgelegt. Die Leser erfahren nichts über Diskurse, Gefüge oder Dispositive und auch nichts über die Dreifaltigkeit von Realem, Imaginärem und Symbolischen, die die Reflexion auf Medien in den letzten Jahrzehnten begleitet haben. Stattdessen dominiert auf der theoretischen Ebene ein kritischer Rekurs auf Charles Baudelaire, Walter Benjamin und – hier votiert der Autor gegen Frankreich und für Frankfurt – auf Theodor W. Adorno. Vor diesem Hintergrund entwickelt der Leipziger Kunsthistoriker und Medientheoretiker eine spannende und über weite Strecken sehr gut lesbare Narration, die eine immense Menge an Details aus Kunst, Technik- und Mediengeschichte immer wieder sowohl mit biographischen Aspekten aus den Viten von Künstlern und Erfindern als auch mit der Schilderung von weitgehend anonymen Massenbewegungen zu koppeln versteht. Das Ergebnis ist ein fast mentalitätengeschichtlich anmutendes Panorama, das eine Reihe von überraschenden Ausblicken auf den Zusammenhang von Kunst und Medien seit der Erfindung der Telegraphie um 1792 bietet. Ebenso überraschend sind dabei teilweise die Selektionen des Autors: Der Film oder die Etablierung des Fernsehens als Massenmedium in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ansonsten durchaus große Themen der Medien-Diskussion, befinden sich bewußt nicht im Fokus seiner Aufmerksamkeit. Im Zentrum der Monographie steht die Frage nach dem Verhältnis von Künsten und Medien, die der Autor in den bisherigen Debatten nur unzureichend beantwortet sieht – unzureichend vor allem deshalb, weil man bislang mit durchaus unterschiedlichem Ergebnis nach dem Verhältnis zwischen Künsten und Medien gefragt und dabei die kompliziertere Textur von unterschiedlichen Verhältnissen und wechselseitigen Einflußnahmen aus dem Auge verloren habe (219–224). Daniels selbst gruppiert deren Formen unter die vier Rubriken »Reaktion«, »Antizipation«, »Substitution« und »Evokation«.

Die Reaktion – genauer: die Reaktion der Kunst auf die Medien – sieht er exemplarisch bei Marshall McLuhan und Friedrich Kittler thematisiert. Und im Rückgriff auf seine Baudelaire-Lektüren und die Fallstudie zu Édouard Manets Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko konstatiert auch Daniels, daß »alle ›moderne‹ Kunst immer schon ›Medienkunst‹ ist, weil sie sich, positiv oder negativ, in Beziehung zu den Medien und der von ihnen geformten Weltsicht definiert« (166). Damit ist allerdings nur ein Verhältnis angesprochen und keineswegs das einzige. Infolgedessen sieht sich Daniels auch anders als Kittler keineswegs dazu motiviert, den Medientechniken einen Primat über die Künste einzuräumen oder den Künstler als ein nostalgisches Auslaufmodell zu betrachten, das in den Schranken des vorhandenen Interface Kreativität nur noch simulieren kann. Gestützt wird diese Einschätzung der Kunst durch ein komplementäres Bild der Medien. Ihre Geschichte läßt sich nach Daniels nicht hinreichend in den Koordinaten von Technik, Industrie und Militär schreiben, sondern verlangt gleichfalls nach einer Berücksichtigung der Bastler, Amateure und eben auch Künstler – kurzum nach einer Berücksichtigung all jener, die gemäß des mehrdeutigen Titels der Monographie eine Sendung sowohl als »medientechnische Emission« wie auch als »bekenntnishafte Mission« begreifen (14). Schon fast amüsant nimmt sich in diesem Zusammenhang die von Daniels rubrizierte Liste der Versäumnisse und Fehleinschätzungen aus, die Wirtschaftsunternehmen und Staaten in Bezug auf medientechnische Innovationen wie Telefon und Transatlantik-Kabel, drahtlosen Fernsprecher oder Radio unterlaufen sind (94, 133). |1

Der zweiten Form des Verhältnisses – der künstlerischen Antizipation von medientechnischen Entwicklungen – widmet sich Daniels sehr ausführlich; er wird hier vor allem im Bereich der Science Fiction und der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts fündig. |2 Jedoch, welchen Wert hat es, in Villiers de l’Isle Adams Roman Die Eva der Zukunft Visionen von künstlicher Intelligenz zu entdecken oder in Edward Bellamys Looking Backward eine Vorwegnahme des Fernsehens? Welche Effekte zeitigt die Utopie umfassender Mediensysteme aus Guillaume Apollinaires Simultanismus oder die ›Erfindung‹ des Cyberspace in der Kurzgeschichte Burning Chrome von William Gibson? Ein direkter Stimulus von derartigen Visionen für die weitere Medienentwicklung ist nach Daniels kaum nachweisbar und verläuft (wie seine wenigen Gegenbeispiele zeigen) auch eher enttäuschend. So ist einer der Pioniere des Fernsehens, Paul Nipkow, offenbar von Jules Verne inspiriert gewesen; und die Karikaturen von Albert Robida über ein mediales global village haben noch im 19. Jahrhundert Pate für das Projekt eines schlußendlich nicht realisierten Pariser Netzwerks gestanden (81, 87). Angesichts dieser geringen direkten Resonanz bringt Daniels die vermittelten, indirekten Wirkungen von Kunst ins Spiel. Als Kronzeuge für dieses Verhältnis dient Benjamin und sein Credo, eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst sei immer schon gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, die noch nicht zu befriedigen sei (220).

Mit der dritten Verhältnisform, der Substitution, überschreitet Daniels die einfacheren Verhältnisse zugunsten von Transformationsprozessen. Als Substitution von Kunst durch Medien gelten ihm all jene Prozesse, in denen »sich einstmals künstlerische Ziele in Form von Medien und Apparaten manifestieren« (41). Belege dafür liefert Daniels zunächst auf der klassisch biographischen Ebene anhand der Lebensläufe von Malern und ›Medienerfindern‹ wie Samuel Finley Breese Morse und Louis Daguerre; bei ihnen habe der missionarische Anspruch auf Völkerverständigung oder die Verpflichtung auf illusionistische Darstellung ein Ventil in der elektrischen Telegraphie oder der Daguerrotypie gefunden. Mit Benjamin gesprochen – die Nachfrage der beiden Maler wird auf der Ebene von Medien befriedigt. Von weitaus größerem Gewicht sind für Daniels aber die anonymen und massenhaften Substitutionen, die er insbesondere für die Funkamateure des frühen 20. Jahrhunderts und die Hacker der 60er und 70er Jahre nachzeichnet. Charakteristisch für sie sei – wie er materialreich dokumentiert – neben dem Anspruch von egalitärer und freier Kommunikation eine zweckfreie bzw. rein dem Medium gewidmete Praxis. Und dies verhilft dem Autor zu einer raffinierten und durchaus riskanten Deutung des Slogans von McLuhan, das Medium sei die Botschaft: »Als persönliches, außerindustrielles Programm folgt ›the medium is the message‹ dem gleichen paradoxen Ideal wie ›l’art pour l’art‹« (215).

Derartige Substitutionen führen zur vierten und letzten Form, nämlich der Evokation von Massenmedien wie beispielsweise dem Radio und dem Internet. Bei ihr handelt es sich nach Daniels um »einen von niemandem intendierten Prozess, der eine ursprünglich zweckfreie, spielerische Verwendungsweise der Amateure für die Technik zum Ausgangspunkt für die komplette Neudefinition der Funktion des Mediums macht« (223). Kunst und Sendung ist jedoch keine Erfolgsgeschichte – die Selbstorganisation der Massenmedien aus dem Geist von Kunst und Utopie findet für Daniels ihre Grenze an den dann einsetzenden Verwertungsansprüchen der Industrie und in der politischen Vereinnahmung. Was bleibt, ist sein Eintreten für eine Medienkunst im engeren Sinne, die zwar ihre Massenbasis verloren hat, aber im »Medium selbst einen Ort der Reflexion über das Medium öffnet« (257).

Für eine angemessene Einschätzung von Daniels Monographie ist zunächst eine Erinnerung an die eingangs erwähnten Selektionen vonnöten. Kunst als Sendung ist keine allgemeine Geschichte der Künste und Medien. Sie ruft also einzelne, relevante Aspekte der historischen Entwicklung in Erinnerung, die aber nicht bruchlos auf Bereiche wie etwa den kapitalintensiven Film zu übertragen und auch nicht beliebig zu verallgemeinern sind. |3 Eingedenk dessen – das Verdienst der Studie von Daniels besteht in dem gelungenen Nachweis, daß sowohl eine Verschränkung von Medien- und Sozialgeschichte als auch eine Reflexion auf die Leistungen der Kunst für die Medien außerordentlich ertragreich und sinnvoll ist. Es sind allerdings gerade auch diese Vorzüge, die auf zwei Probleme dieser Studie aufmerksam machen. Wenn es denn um kompliziertere Texturen gehen soll, weshalb wird dann die Etablierung von Massenmedien in Kunst als Sendung so häufig und so reduktionistisch als Kampf beschrieben, den die Imagination gerade gegen die Industrie verliert? Hier verschiebt sich das Projekt von einer Suche nach wechselseitigen Einflüssen hin zu einer Nobilitierung von letztlich künstlerischen Kompetenzen im Untergang. Und damit wäre ein zweites Problem angesprochen, die Herkunft dieser als imaginativ, frei und individuell charakterisierten Kompetenzen. Daniels läßt ungeachtet seiner Sympathien für die Amateure keinen Zweifel daran, daß ihm der »Künstler als exemplarischer Vertreter dieser Individualität« gilt, und zitiert in diesem Kontext das Diktum Marcel Duchamps: »Kunst wird durch eine Reihe von Individuen produziert, die sich selbst ausdrücken« (155ff.). Die Frage, die sich hier aufdrängt, lautet: Ist dieses Individuum, das sich selbst ausdrückt, eine Art proprium der Kunst oder verdankt sich seine Entstehung nicht vielmehr ebenfalls komplizierteren Einflußverhältnissen zwischen Kunst, Medien und anderen Systemen? Daniels stellt diese Frage nicht – womöglich auch aufgrund des historischen Zeitrahmens seiner Untersuchung. Aber etwa mit einem tieferen Blick in das 18. Jahrhundert läßt sich behaupten, daß derartige Individuen bereits sehr wohl auf das Massenmedium ihrer Zeit reagieren. Ohne die Kopien, mit der der Buchdruck die Leser versorgte, wäre die Abkehr von einer mimetischen bzw. nachahmenden Kunstproduktion und die Hinwendung zu einer forciert originellen, die den eigenen Ausdruck pflegt, um eine wesentliche Motivation ärmer gewesen. |4 Möglicherweise würde eine weitere Verfolgung der beiden angesprochenen Probleme auch dazu führen, in der Kunst weniger das geheime und – aufgrund der enttäuschten Utopien – auch etwas melancholische Zentrum der Gesellschaft zu sehen, sondern eher ein tragendes Element in einem heterarchischen Netzwerk. Aber das wäre eine Frage für weitere Diskussionen, zu denen Daniels‘ Kunst als Sendung in jedem Fall fruchtbare Anregungen zu liefern vermag.

aus: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 48/2 (2003) 315–318

1 Diese Liste läßt sich durch einen prominenten Fall aus der jüngeren Geschichte ergänzen, nämlich um den Umgang von Xerox mit den Produkten des von ihm initiierten Palo Alto Research Center; vgl. dazu Michael Hiltzik: Dealers of Lightning – Xerox PARC and the Dawn of the Computer Age, New York 1999.

2 In diesen Zusammenhang fällt auch der Versuch von Daniels, sogar noch einer Performance von Van Gogh TV auf der documenta 1992 zu bescheinigen, daß sie das World Wibe Web antizipiert habe (249ff.). Angesichts seiner Kenntnis der militärischen und wissenschaftlichen Vorgeschichte des Internet, die vom Arpanet der 60er Jahre bis zu den CERN-Forschungen um 1990 reicht, wirkt dies mehr als kurios.

3 Eine Gegenfigur zum Medienamateur könnte hier der Theoretiker Hugo Münsterberg abgeben, dem aufgrund seiner Wertphilosophie »Missionen« zwar nicht fremd gewesen sind, der seine wegweisenden Studien zur filmischen »Emission« aber im direkten Kontakt mit der damaligen Industrie entwickelte, für die er zeitweise auch PR-Aufgaben übernahm; vgl. dazu Hugo Münsterberg: Das Lichtspiel – Eine psychologische Studie, hg. von Jörg Schweinitz, Wien 1996, 10–14.

4 Zeitgenössische Einblicke in diese Dialektik von Druck und Individualität liefert Edward Young: Gedanken über die Original-Werke, hg. von Arthur Henkel, Heidelberg 1977.

 

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