Dieter Daniels :: Kunst als Sendung
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Blaise Cendrars

Turm

1910
Castellamare
Ich speiste von einer Orange im Schatten eines Orangenbaums
Als plötzlich …
Es war nicht der Ausbruch des Vesuvs
Es war nicht die Heuschreckenwolke, eine der zehn Plagen
Ägyptens
Noch Pompeji
Es war nicht das Geschrei wiederauferstandener Riesenmammuts
Es war nicht die verheißene Trompete
Noch der Frosch des Pierre Brisset
Als plötzlich
Blitze
Stöße
Aufruhr
Zündung durch alle Etagen
Mein Geschlecht

O Eiffelturm!
Ich ließ dich nicht mit Gold beschlagen
Ich ließ dich nicht auf Kristalldielen tanzen
Ich ließ dich nicht dem Python zum Fraß wie eine karthagische
Jungfrau
Ich kleidete dich nicht ins Peplon der Griechen
Ich ließ dich nie durch den Kreis der Menhire irren
Ich habe dich nicht Stamm Davids genannt noch Holz vom Kreuze
Lignum Crucis
O Eiffelturm
Gigantisches Feuerwerk der Weltausstellung!
Auf dem Ganges
In Benares
Unter den Onanistenmönchen der Hindutempel
Und zu dem bunten Gezeter der Massen des Orients
Du neigst dich, liebreiche Palme!
Du warst es in der legendären Vorzeit der Hebräer
Du hast die Zungen der Menschen verwirrt
O Babel!
Und ein paar tausend Jahre später fällst du als züngelndes Feuer
auf die Apostel zurück die in deiner Kirche versammelt sind
Auf hoher See bist du der Mast
Und am Nordpol
Strahlst du in der ganzen Pracht des Nordlichts deiner drahtlosen
Telegraphie
Im Eukalyptus verwirren sich die Lianen
Und du treibst, alter Stamm, auf dem Mississippi
Da
Sperrst du den Rachen auf
Und ein Kaiman schnappt einen Negerschenkel
In Europa bist du ein Galgen
(Ich möchte der Turm sein, hängen am Eiffelturm!)
Und wenn in deinem Rücken die Sonne versinkt
Fällt unter der Guillotine der Kopf von Bonnot
Im Herzen Afrikas bist du auf den Beinen
Giraffe
Strauß
Boa
Äquator
Monsun
In Australien warst du immer tabu
Du bist der Bootshaken den Kapitän Cook benutzte sein
Abenteurerschiff zu lenken
Himmlisches Lot!
Für den Simultanisten Delaunay, dem ich dieses Gedicht widme,
Bist du der Pinsel den er eintaucht ins Licht

Gong Tamtam Sansibar Dschungelwild X-Strahlen Schnellzug
Skalpell Sinfonie
Du bist alles

Turm
Gott der Antike
Vieh der Moderne
Sonnenspektrum
Gegenstand meines Gedichts
Turm
Turm der Weit
Turm in Bewegung

August 1913

Blaise Cendrars, Turm in Neunzehn elastische Gedichte, deutsch in: Blaise Cendrars, Poesie, Düsseldorf 1962, S. 63–65

Betrifft
Kapitel 3. 2. , Seite 113–114
Sachregister
Dichtung, Funk
Namensregister
Cendrars, Blaise; Delaunay, Robert
Textbezüge
Cendrars, Röcheln, Cendrars, Letzte Meldungen
Bildbezüge
Delaunay, »Turm. Erste Studie«, Delaunay, »Turm«, Apollinaire, »Lettre Océan«
 

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