[DPsNtN] english

= DISPLACED_PERSONS say NOTHING to NOBODY
© CHRISTIN LAHR, "crossLinks", Marstall, Berlin, 1999, last update 23.05.1999 email:lahr@khm.de



"DISPLACED_PERSONS" ist ein rechnergesteuertes, interaktives Environment mit Internetanbindung, in dessen Mittelpunkt die Schnittstellen und/oder Überschneidungen von physischen und virtuellen Räumen stehen, fokussiert auf den Bereich zwischenmenschlicher Kommunikation.

Entgegen der Gewohnheit wird bei dieser Arbeit die INTERAKTION nicht durch AKTION, sondern gerade durch NICHTS_TUN, NICHT_AKTION hervorgerufen.




HINTERGRÜNDE
"Displaced persons" haben bislang noch jedes Gesellschaftsbild maßgeblich mitbestimmt und charakterisiert, - beobachtet man jedoch die derzeitigen weltweiten Entwicklungen scheinen "displaced persons" mehr und mehr als gesamtgesellschaftliches Phänomen in den Vordergrund zu rücken. Die Aufspaltung von Weltmächten in Nationalstaaten sowie wie die umgekehrten Bemühungen um ein gemeinsames Europa, Flüchtlingsströme ebenso wie die Ausweitung des weltweiten Tourismus, um nur einige Beispiele zu nennen, bringen mehr und mehr "displaced persons" - "ORTLOSE" hervor, die an der Frage einer Identifikation nahezu zwangsläufig zu scheitern drohen.

Verschärft durch den Prozeß weltweiter Globalisierung und Vernetzung, basierend auf den sogenannten "Neuen Technologien", stehen wir vor einem gewaltigen gesamtgesellschaftlichen Tranformationsprozeß in dessen Kontext Begriffe wie "HIER" und "DA", "AN- und ABWESENHEIT" oder "Nähe" und "Ferne" nach neuen Definitionen verlangen. Der Begriff des Raumes zwischen "Nirgendwo" und "Irgendwo" ist relational geworden und die Frage nach "Verortung" innerhalb dieser "Zwischenräume" bedarf einer Klärung. Schon heute fristen wir einen Teil unseres Lebens als "virtuelle Existenzen" oder "Datenkörper" auch in immateriellen Datenräumen, wobei "virtuell" etwas "der Kraft oder Möglichkeit nach Vorhandenes" und "Existenz" das "Dasein, Leben, Vorhandensein, Wirklichkeit" bezeichnet. Somit verweist der Begriff "virtuelle Existenzen" bereits auf das Paradox einer "möglichen Unmöglichkeit" hin - vielleicht ein Indiz für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung - mit Sicherheit aber der Beginn einer Gratwanderung zwischen Materialität und Immaterialität, zwischen "Schein" und "Sein". Der Körper als Bestandteil der "physischen Realität" bleibt weiterhin "außen vor". Als Reaktion darauf bilden sich mehr und mehr "displaced persons" heraus, deren Erfahrungen aus der Gratwanderung zwischen beiden Welten (physische und virtuelle Welt) hervorgehen. Inwiefern sich die virtuelle Identitätsbildung auch körperlich niederschlagen wird, wenn sie nicht ohnehin schon immer latent vorhandener Bestandteil der eigenen Identität war, bleibt ungewiß.

Der Arbeit DISPLACED_PERSONS ging eine längere Recherche in MUDs und MOOs voran - eine Untersuchung überwiegend sprachbasierter Räume im Internet, deren Umgebungen sich in Echtzeit verändern und allein über die Vorstellungs- oder Einbildungskraft der Benutzer/innen erzeugt und am "Leben" gehalten werden. Im Mittelpunkt meines Interesses standen sowohl die Transformationen zu einer sich neu entwickelnden "Sprachkultur" zwischen gesprochener Sprache und Schriftsprache, welche sich am ehesten mit "gesprochenem Schreiben" oder "geschriebenem Sprechen" umschreiben läßt, sowie das Spiel mit dem Wechsel der Identitäten. Das Netz erlaubt Anonymität und visuelle Isolation. Einziger Anhaltspunkt für die Identität einer Person ist ihr selbst erdachtes und produziertes Porträt, sowie die Art und Weise, wie sie in Situationen agiert und reagiert, vermittelt über Sprache. Auf dieser Grundlage ist der im Environment zu hörende Polylog entstanden, eine Kommunikation zwischen unterschiedlichen fiktiven Charakteren (Prototypen). Das Drehbuch (RegieScript) zu diesem POLYLOG, in dessen Zentrum u.a Fragen nach Ab- und Anwesenheit, Identität, Geschlecht, Diskrimierung, Leben und Tod, Wirklichkeit und Fiktion stehen, ist eine Zuspitzung der in MOOs, MUDs und Chaträumen alltäglich ablaufenden Dialoge. (Bei näherem Interesse s. beiligendes komplettes RegieScript.)



CHARACTER: DISPLACED_PERSONS

Usage: connect <existing-player-name> <password>

DISPLACED_PERSONS is owned by DISPLACED_PERSONS
Aliases: [DP], [sNtN]
gender: not set

You see a person who/which is not set in gender.
It wonders where it is going, it wonders where it is.
It is curious about the differences between virtual and real life.
It is a person of indefinite height and it is dressed rather non-descriptly,
but it has the ideal measures and a perfect outfit in any way.
The most exciting thing however is its huge variety of different identities.
It could be EVERYBODY.
It is awake and looks alert.

Obvious Verbs:
- wh*isper <anything> to DISPLACED_PERSONS
- examine DISPLACED_PERSONS
- look DISPLACED_PERSONS
- give <anything> to DISPLACED_PERSONS
- gag DISPLACED_PERSONS
- dea*fen DISPLACED_PERSONS
- blind*fold/blind DISPLACED_PERSONS
- fol*low DISPLACED_PERSONS

carrying: nothing but its IMAGINATIONs




In einem leeren Raum befinden sich 8 Lautsprecherboxen, sowie 8 rote Plastikschilder mit den eingravierten Worten: north, south, east, west, up, down, in, out. Diese Begriffe, mit deren Hilfe wir gewöhnlich physische Räume verorten, stellen zugleich die wichtigsten Befehle für das "Navigieren" innerhalb virtueller Räume dar.

Solange sich keine Besucher/innen im Raum befinden, ist aus den Lautsprechern ein computergenerierter, mehrstimmiger Polylog unterschiedlicher synthetischer Prototypen zu hören, in welchem unter anderem Fragen bezüglich AN- und ABWESENHEIT, WAHRHEIT und LÜGE, GESCHLECHT, AUSSEHEN, IDENTITÄT und VERORTUNG aufgeworfen werden. Die Texte basieren auf einer mehrmonatigen Rechercharbeit in "LambdaMOO" und den dort gemachten Erfahrungen mit dem Kommunikationsverhalten in virtuellen Räumen, bei dem Emotionen und fehlende körpersprachliche Ausdrucksmöglichkeiten auf 256 Zeichen (ASCI-Code) reduziert und z.B in Form von Emoticons oder Akronymen kompensiert werden.



Sobald jemand den Raum betritt, brechen die Stimmen abrupt ab und die plötzlich einsetzende Stille läßt das Eintreten als "Störung" gewahr werden. Der Polylog synthetischer Stimmen setzt erst dann wieder ein, wenn alle Personen den Raum verlassen, oder sich darin einen Ort gesucht haben, an welchem sie regungslos verharren. Allein die ABSOLUTE REGUNGSLOSIGKEIT aller im Raum befindlichen Personen ist auslösendes Moment der Klanginstallation. Dies führt den Besucher/innen einen Zustand gegenseitiger ABHÄNGIGKEIT (des miteinander Vernetztseins) vor Augen, welche sich immer wieder neu vermittelt.


Jede/r Einzelne ist in der Lage das gesamte Geschehen zu beeinflussen, das Ergebnis ist der GEMEINSAM AUSDRUCK aller Beteiligten. In diesem Moment des gemeinsamen STILL_HALTENS "gerinnen" die im Raum befindlichen Besucher/innen zu LEBENDEN SKULPTUREN und werden somit gleichzeitig zum "Ausgestellten", wodurch sich den Außenstehenden ein Anblick "LEBENDER FOSSILE" vermittelt. Wird über einen längeren Zeitraum kein Zustand der Bewegungslosigkeit erreicht, ertönt aus einem der Lautsprecher wiederholt die Aufforderung:





"DEAR VISITOR! DON´T MOVE YOUR BODY, OR THE COMMUNICATION WILL NOT GO ON"






Kamera03, Normalobjektiv
über Motor drehbar um 360°
Kamera04, Normalobjektiv, Blick zur Tür


Das gesamte Geschehen des interaktiven Environments DISPLACED_PERSONS kann im WordWideWeb mit distanziertem Blick verfolgt als auch unmittelbar beeinflußt werden. Vier innerhalb und eine außerhalb des Environments positionierte Überwachungskameras liefern zu diesem Zweck kontinuierlich Livevideobilder aus unterschiedlichen Kamerapositionen, die über die Navigationsseite der Website DISPLACED_PERSONS aufgerufen werden können, wobei der User zwischen den unterschiedlichen Kameraansichten hin und her schalten kann. Darüber hinaus läßt sich eine der Kameras mit Hilfe von Navigationstools vom Netz aus um 360° drehen. Den Webnutzern/innen wird sich je nach Situation ein leerer Raum oder "LEBENDE FOSSILE" innerhalb des physischen Environments präsentieren. Die Ausstellungsbesucher/innen werden auf diese Weise selbst zum Ausgestellten.


In Analogie zu dem interaktiven Environment vor Ort werden auch die Livekameras von allen eingeloggten Webnutzern/innen gemeinsam gesteuert, so daß jede/r Einzelne das bei allen jeweils ankommende Videosignal beeinflussen kann. Sobald ein User auf der Website DISPLACED_PERSONS eine Kameraposition anwählt, wird bei allen eingeloggten Webnutzern/innen das in die Mitte der Seite gestreamte Videobild ausgetauscht. Je weniger sich die User bei diesem Prozeß einigen können, desto schneller wird zwischen den unterschiedlichen Kamerapositionen hin- und hergeschaltet. Im extremsten Fall gestörter Kommunikation erscheint bei allen nur mehr RAUSCHEN, welches sich in der weißen Bildfläche des Hintergrundes auflöst. Erst wenn die User wieder zur Ruhe oder zumindest zu einer Einigung gekommen sind, kann das Geschehen vor Ort erneut ungestört beobachtet werden.


Außerhalb des Environments befindet sich ein Arbeitstisch mit einem vernetzten Computer, über welchen - wie von jedem anderen Ort auch - auf die Webpage DISPLACED_PERSONS zugegriffen werden kann. Auf diese Weise sind die interaktiven Eingriffsmöglichkeiten via Netz umittelbar nachvollziehbar bzw. kontrollierbar und auch für die Besucher/innen vor Ort präsent. Eine der 5 Überwachungskameras ist so justiert, daß sie den vor dem Rechner sitzenden Besucher, sowie die hinter diesem befindliche Videoprojektion erfaßt. Beim Anwählen dieser Kamera sieht der User in der Ausstellung sich selbst, die Webnutzer/innen von außerhalb den User vor Ort oder einen leeren Stuhl.



Mittels eines direkt an das Interface/Videoswitcher angeschlossenen Videobeams erscheinen auf dieser Projektion die Videobilder der jeweils aktuell ausgewählten Überwachungskamera. Die "SCHNITTE", die sich hierbei ergeben, resultieren unmittelbar aus dem "Klickverhalten" der Webbenutzer/innen und dokumentieren deren AKTIVITÄT.

Parallel zu den anwählbaren Videokameras verfügt die Website DISPLACED_PERSONS über ein Texteingabefenster, über welches die externen User den synthetischen Polylog im Ausstellungsraum aktiv beeinflussen und erweitern können. Die von den Benutzern/innen eingegebenen Texte, die unmittelbar auf das aktuelle Geschehen reagieren können, werden mit Hilfe eines Sprachsynthesizers aus einem der im Ausstellungsraum befindlichen Lautsprecher gesprochen und somit in den vorgefertigten "Polylog fiktiver Identitäten" integriert.



Für technische Unterstützung Dank an: Reinhard Ludwig, Martin Nawrath, Felix Heimbrecht