Heimo Zobernig und Franz West - "Kunst-Lobby", Rauminstallation
Die "Kunst-Lobby" ist ein von dem Österreicher Heimo Zobernig
konzipierter Kommunikations- und Leseraum. Es haben sich aber noch drei
weitere Künstler an dieser Arbeit beteiligt: Die Bestuhlung des Raumes
übernahm Franz West, ebenfalls ein Österreicher. Von Marcus Geiger
stammt der Teppichboden des Raumes von Peter Kogler der Vorhang.
Heimo Zobernig hat mit seiner Lobby ein Kunstwerk geschaffen, bei dem
die funktionale Benutzbarkeit im Vordergrund steht. Der Raum ist durch
eine Glasscheibe von der Glashalle abgegrenzt. Von außen ist das Wort
"Lobby" auf der Scheibe zu lesen. Die Buchstaben wirken überdimensional groß.
Zobernig verwendet die "Helvetica black", eine schlichte, gut lesbare Schrift,
die in der verwendeten Größe einen sehr plakativen Charakter hat.
Das Wort ist dadurch weithin gut sichtbar. Es wirkt wie ein Etikett, das
Zobernig seinem Raum aufgedrückt hat.
Tatsächlich präsentiert sich der Raum auch als das, was er nach außen
hin zu sein verspricht: eine Lobby, ein Nebenraum, ein Warteraum, ein
Raum zur Kommunikation. Er folgt allen Regeln der Nutzbarkeit. Zobernig
macht verschiedene Angebote, die die Messebesucher nutzen können:
In einem von ihm entworfenen Regal, das sich freistehend in der Mitte
des Raumes befindet, liegen Kataloge aller am Kunstprojekt Neue Messe
beteiligten Künstler sowie aktuelle Kunstzeitschriften aus und können
gelesen werden. Die Benutzer der "Lobby" können sich auf den diwanartigen
Sitzmöbeln von Franz West niederlassen und sich vom Messe-Stress
erholen. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich Künstlervideos
anzusehen oder den hier installierten Internetanschluß zu nutzen. Der
Raum unterwirft sich vollkommen dem Benutzer und nimmt eine dienende Funktion ein.
Um so überraschender und irritierender erscheint es, daß das Innere des Raumes von
einem weiteren Schlagwort dominiert wird. In ebenso großen Lettern und
in derselben Schrift wird der Betrachter jetzt mit dem Wort "Kunst"
konfrontiert, welches an der rückwärtigen Wand angebracht ist. Beide
Begriffe liegen somit genau hintereinander, nur die Tiefe des Raumes
trennt sie voneinander.
Jeder Messebesucher, der sich in Heimo Zobernig Raum aufhält, findet sich
unwillkürlich zwischen diesen beiden groß propagierten Schlagworten, quasi
"zwischen den Fronten" wieder.
Er befindet sich in einem Kunstwerk, das jedoch kein Kunstwerk im
herkömmlichen Sinne ist, sondern sich als funktionierender, benutzbarer
Raum präsentiert. Verschiedene Fragen drängen sich auf:
Kunst ODER Lobby? Wird der Begriff "Lobby", der für den Gebrauchswert
steht, durch den Begriff "Kunst" aufgehoben und außer Kraft gesetzt?
(Wenn sich der Betrachter im Raum befindet, so wird die "Kunst" für ihn
zum dominierenden Schlagwort. Das Wort "Lobby" ist nur von außen
seitenrichtig zu lesen.)
Oder aber: Kunst UND Lobby als eine Einheit? Als zwei Begriffe, die sich
durchaus verbinden können und vielleicht sogar zu einer Einheit
verschmelzen? (Wenn man den Raum wieder verläßt, und sich noch einmal
umsieht, so vermischen sich die beiden Begriffe. Das Wort "Lobby" auf
der Glasscheibe wird eins mit dem dahinterliegenden Wort "Kunst".)
Es kommt also ganz auf den Standpunkt an. Zobernig gibt auf diese Fragen
keine eindeutigen Antworten. Seine Arbeit eröffnet vielfältige
Deutungsmöglichkeiten. Somit läßt er den Betrachter mit einer
Verunsicherung über den Begriff "Kunst" zurück.
Solche Gratwanderungen zwischen Kunst und Funktionalität sind in Heimo
Zobernigs Werk oft zu finden. So beteiligte er sich z. B. 1997 an dem Projekt
"Skupltur." in Münster, indem er Plakatwände an den wichtigsten Zufahrtsstraßen
der Stadt anbrachte, auf denen die Veranstaltung angekündigt wurde.
Die Plakate waren schlicht gestaltet, die Schrift stand gut lesbar in schwarzen
Versalien auf weißem Grund. Ferner versah er die Rückwand einer Bühne, die in
der Stadt aufgestellt wurde, mit demselben Schriftzug - dieses Mal jedoch weiß
auf schwarzem Grund. Auch hier bildet, wie bei der "Kunst-Lobby" in Leipzig,
der Gebrauchscharakter seiner Arbeit einen Gegensatz zu künstlerischen Aspekten.
Ein weiteres Merkmal Heimo Zobernigs ist die häufige Zusammenarbeit mit
anderen Künstlern. Dadurch stellt er sich gegen den heute noch
verbreiteten Mythos vom Künstler als autonomes Genie. Er hat z.B. schon
früher mit Franz West zusammengearbeitet. Zusammen haben die beiden eine
Halle der documenta X in Kassel gestaltet.
Auch hier auf der Leipziger Neuen Messe hat er wieder eine Zusammenarbeit
forciert. Er sollte an dem Projekt mit einer Arbeit teilnehmen, verzichtete
jedoch darauf, der alleinige Initiator seines Raumes zu sein und gab die
Regie teilweise an andere Künstler weiter.
Franz West schuf die diwanartigen Stahlmöbel, die als Sitzgelegenheiten
in der "Lobby" dienen. Die Stahlgestelle sind verrostet und mit
orientalisch anmutenden Teppichen bespannt. Die Ästhetik dieser Möbel
verleiht dem gesamten Raum eine Art warme Bazar-Atmosphäre.
ähnliche Möbelstücke in Form von Stühlen, Liegen, Sofas usw. sind ein
wesentlicher Bestandteil des Werkes von Fanz West. So hat er z.B.
ähnlich markante Sitzgelegenheiten wie seine Diwans in Leipzig auch für
das Museum of Modern Art in New York geschaffen. Seine Möbelskulpturen
sind durchaus dazu gedacht, benutzt zu werden. Auch er thematisiert
- genauso wie Heimo Zobernig - die ambivalente Stellung künstlerischer Arbeit
als eigenständiges Kunstwerk sowie auch als Gebrauchsgegenstand.
Marcus Geiger ist an der "Kunst-Lobby" mit einem Teppichboden aus Nadelfilz beteiligt, in dem die Namen aller am Kunstprojekt mitwirkenden Künstler eingearbeitet sind. Er läßt somit die Besucher der "Lobby" auf den Künstlern "herumtrampeln".
Der vierte Künstler, der an der "Kunst-Lobby" mitgewirkt hat, ist Peter Kogler. Seine Arbeit ist ein Vorhang, dessen ornamental anmutendes Muster in Wirklichkeit Hirnstrukturen darstellt.
Die Tatsache, daß vier verschiedene Künstler an der "Kunst-Lobby" mitgewirkt haben, prägt diesen Raum. Aus dieser "Teamwork" ergibt sich eine spezielle Ästhetik - die "Lobby" wirkt fast ein wenig zusammengewürfelt, im Gegensatz z.B. zu Jorge Pardos Cafè, das sich dem Besucher als ganzheitlich "durchdesignter" Raum präsentiert. In der "Lobby" dagegen herrscht eine Atmosphäre des "Unperfekten". Besonders durch Franz Wests Diwane ist der Raum mit einer Art Secondhand-Charme versehen. Dadurch grenzt sich der Raum klar von der doch eher kühlen Architektur der Glashalle ab. Interessant ist auch, daß die "Lobby" einerseits eine separate Zone innerhalb der Messe bildet und so den Besucher zum Verweilen und Entspannen einlädt. Andererseits wird der Benutzer der "Lobby" nicht vollkommen abgeschirmt. Nur eine Glaswand trennt ihn von der Messehalle - somit ist auch ein gewisser Einfluß von außen vorhanden. Man kann als Benutzer des Raumes von außen beobachtet werden und man hat nicht die Möglichkeit, vollkommen zu vergessen, wo man sich befindet: auf einer Messe.