Leipziger Kunstorte
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Neue Messe | Jorge Pardo

Jorge Pardo - "Ost-West-Kontakt-Zentrum", Rauminstallation

Jorge Pardo hat sich am Kunstprojekt "Neue Messe Leipzig" beteiligt, indem er die Gestaltung des Cafès übernommen hat, das sich in der Glashalle befindet. Genauso wie Heimo Zobernig mit seiner Kunst-Lobby, verzichtet auch Jorge Pardo darauf, eine Arbeit zu schaffen, die sich allein auf ihren Status als Kunstwerk beruft. Er schiebt dieses Vorrecht auf Autonomie beiseite und stellt sich in den Dienst der Funktionalität. Sein Interesse war es, eine andere Art von Kunst zu schaffen, die sich in das Leben auf der Messe eingliedert, von dem Besucher benutzt werden kann und somit zum Bestandteil des Messealltags wird. Schon im Titel "Ost-West-Kontakt-Center" wird deutlich: hier sollen Menschen einander begegnen, hier sollen sich Gespräche entwickeln.
Die Gefahr, daß Jorge Pardos Cafè ganz in dieser Funktionalität untergeht, und vom Messebesucher überhaupt nicht registriert wird, besteht dennoch nicht. Dafür sorgt der Künstler, indem er sein Cafè mit einer ganz individuellen Formensprache und Farbigkeit ausstattet. Dem Besucher fällt sofort auf, daß er sich hier an einem besonderen Ort befindet.
Die Wände sind farbig gestrichen, ungewöhnlich geformte bunte Glaslampen hängen zahlreich und in unterschiedlicher Höhe von der Decke. Verschiedene Sitzgelegenheiten kommen zum Einsatz, die alle durch eigenwillige Formen auffallen. Die Stühle im Inneren des Cafès stammen von dem Designer Frank Gehry. Die orangefarbenen Hocker im Innern sowie die geschwungenen, aus einem Stück gefertigten Stühle vor dem Cafè, sind von Jorge Pardo selbst entworfen worden.
Der Einsatz dieser verschiedenen Elemente ist sorgfältig geplant, nichts hat Jorge Pardo hier dem Zufall überlassen. Das Cafè stellt eine in sich geschlossene durchgestaltete Einheit dar, eine eigene kleine Welt innerhalb der Messe, die sich nach außen deutlich abgrenzt. Die Atmosphäre, die den Besucher hier empfängt, ist von farbenfroher Heiterkeit und einer gewißen Skurilität geprägt.
Die bunten Glaslampen, die Jorge Pardo selbst entworfen hat, erinnern mit ihren runden Formen an den Stil der 50er Jahre. Interessant ist, daß in den Lampen statt Glühbirnen Kohlefäden zu finden sind - an sich eine veraltete Technik, die heute nicht mehr zum Einsatz kommt. Jorge Pardo zitiert so die Vergangenheit.
Mit diesem "Retro-Effekt" spielt Pardo immer wieder in seinen Arbeiten. Er bedient sich bereits existierender Formensprachen und erreicht dadurch ein Gefühl der Vertrautheit beim Betrachter. Mit dieser Vorgehensweise deckt er einen "Formencharakter" auf, der hinter solchen, bereits existierenden Formen steckt. Er demonstriert, daß sich durch das Zitieren von Formen aus der Vergangenheit Prozesse in Gang setzten lassen, die im Kopf des Betrachters stattfinden. Der Einsatz dieses "Retro-Effektes" bleibt jedoch unbestimmt. Jorge Pardo läßt die Vergangenheit nur anklingen. Auf eine konkrete Darstellung eines bestimmten Stils verzichtet er, stattdessen adaptiert er die Formen in die Gegenwart. Dadurch bleibt dem Betrachter genügend Spielaum für individuelle Assoziationen. Durch die Heiterkeit, die von Jorge Pardos Lampen ausgeht, wird ein unbeschwerter Blick auf die Vergangenheit möglich. Formelle und gestalterische Aspekte nehmen bei Jorge Pardos Arbeit eine dominierende Stellung ein.
So hat er z. B. das gesamte "Cooperate Identity" seiner Berliner Galerie entwickelt, und sich dabei von der Einladungskarte über die Außenfassade bis hin zur Möblierung gestalterischen Belangen gewidmet.
Man könnte die Frage stellen, ob das Erscheinugsbild, die äußere Form, heute überhaupt noch ein Kriterium zur Bewertung künstlerischer Arbeit darstellt, oder ob eine solche Arbeit eher dem Bereich "Design" zuzuordnen ist.
Mit seiner Arbeit stellt sich Jorge Pardo gegen dieses gängige Wertesystem, nach dem auch heute noch kreative Leistung eingeordnet wird, wobei das Prädikat "Kunst" gleichgesetzt wird mit hochwertig und privilegiert, während "Design" als minderwertiger und kommerziell betrachtet wird.
Kunst spielt sich auch heute noch größtenteils im Kontext von Museen und Galerien ab und erfährt dadurch eine Separation vom Alltag. Auch dagegen wendet sich Jorge Pardo. Er spricht sich für das Überdenken von Museen und Galerien als traditionelle Orte des Kunstgeschehens aus, und möchte mit seiner Kunst den Weg in das "wirkliche Leben" finden:

"You go toa gallery and then you go outside, and you realize that the garbage you're looking at on the ground is more interesting, or the car you get in. My Work wants to do something with the material you have in your head once you leave the gallery." (Jan Tumlir, From station to station, in: jorge pardo untitled. Ausstellungskatalog, London 1999.)

Durch dieses Zitat von ihm wird seine Haltung deutlich. Hier in Leipzig hat er die Gelegenheit bekommen, genau diesen von ihm gewünschten Schritt heraus aus dem Museum und hinein ins wirkliche Leben zu unternehmen.
Pardo antwortet auf diese Herausforderung nicht ohne Sinn für Humor. Gewagt setzt er seinem Publikum, bestehend aus Händlern und Managern, die sich hier zur Messe einfinden um geschäftlichen Angelegenheiten nachzugehen, ein farbenfrohes, skurieles Ambiente vor. Vielleicht könnte man das Cafè sogar als einen augenzwinkernden Hinweis Pardos an die Geschäftswelt verstehen, sich selber nicht so wichtig zu nehmen. Die Reaktionen der Besucher sind unterschiedlich. Sie reichen von Begeisterung für dieses individuelle Cafè bis hin zu Stimmen, die sich mit Jorge Pardos farbenfroher Atmosphäre nicht anfreunden können und diese als unpassend und störend empfinden.

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