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Neue Messe | Angela Bulloch

Angela Bulloch - "Belisha Beacon Indicator System", Rauminstallation

Angela Bulloch zählt unter den am Kunstprojekt "Neue Messe Leipzig" beteiligten KünstlerInnen zur Gruppe der "Newcomer", zu einer jüngeren, noch nicht so etablierten Generation. Die Künstlerin wurde 1966 in Fort Frances / Kanada geboren und lebt und arbeitet in London. Ihr Beitrag zum Leipziger Kunstprojekt trägt den Namen "Belisha Beacon Indicator System" (1996).
Belisha Beacons sind runde gelbe Warnleuchten, die in Großbritannien an Zebrastreifen angebracht sind, um die Autofahrer durch Aufleuchten zu warnen, wenn sich Fußgänger auf der Straße befinden. Namensgeber ist Baron Hore-Belisha, ein britischer liberaler Politiker, der dieses Warnsystem in den 30er Jahren einführte.
Genau diese Lampen adaptiert Angela Bulloch aus dem Alltagsleben und verwendet sie in ihren Arbeiten - so auch in Leipzig. Das Grundprinzip, auf dem das "Belisha Beacon Indicator System" sowie auch viele andere Arbeiten von Angela Bulloch basieren, ist die Miteinbeziehung des Betrachters, bzw. in diesem Fall des Passanten. Er ist der Auslöser, der das Kunstwerk überhaupt erst zum Leben erweckt. Ohne ihn ist das Kunstwerk tot.
Zu finden ist Angela Bullochs Arbeit auf der Neuen Messe in drei gläsernen Gängen, welche die "Eingangshalle Ost" mit den anderen Hallen verbinden. Das System, welches in dem größeren der drei Gänge installiert ist, der die Verbindung zur Glashalle herstellt, funktioniert wie folgt: Die gelben Belisha-Beacon-Leuchten sind in einem Abstand von 3 Metern etwas über Kopfhöhe paarweise angebracht. Sobald ein Messebesucher eines dieser Lampenpaare passiert, blinken diese kurz auf. D.h. je mehr Menschen durch den Gang strömen, desto intensiver blinkt das System. Einen entgegenkommenden Passanten sieht man durch das Aufleuchten der Lampen begleitet auf sich zukommen. Das System des großen Ganges ist in der Lage, Auskunft über Intensität, Geschwindigkeit und Richtung des Durchgangsverkehrs zu geben. Wird jedoch der Besucherstrom, der sich durch den Gang bewegt, zu groß, so kommt es zu einer Art "Überhitzung". Die Informationen können nicht mehr klar abgelesen werden, es ist nur noch ein hektisches Blinken zu erkennen.
Etwas verzwickter und nicht so leicht durchschaubar funktionieren die zwei anderen Systeme, die sich in zwei von der "Eingangshalle Ost" abzweigenden Seitengängen befinden. Hier löst der den Gang Betretende eine Art Kettenreaktion aus: Die Lampen leuchten kreuzweise in einer sich vom Passanten entfernenden Bewegung kurz auf. Am anderen Ende des Ganges angelangt, kehrt sich die Bewegung um, und kommt wieder auf den Betrachter zu, um dann unvermittelt - an einer von Zufall bestimmten Stelle - stehenzubleiben. Wird das System erneut ausgelöst, so beginnt der Vorgang genau an dieser Stelle wiedereinzusetzen. Hier wird also lediglich die Information gegeben, daß jemand den Gang betritt. Auskunft über Intensiät und Geschwindigkeit der Passanten kann nicht gegeben werden.

Man kann Angela Bullochs Arbeiten als interaktiv bezeichnen, da sie auf die Anwesenheit oder auf Bewegungen des Betrachters reagieren. Das macht die Kunstwerke für den Betrachter körperlich erfahrbar. Die Künstlerin spricht dabei die Sinneswahrnehmung an. Entweder geschieht dies visuell, wie bei ihren "Light Pieces", wo ähnlich wie beim "Belisha Beacon Indicator System" Leuchtvorgänge ausgelöst werden. Ihre "Drawing Machines" beginnen, Linien auf einen Bildträger zu ziehen, sobald sie durch den Betrachter aktiviert werden. Mit der akustischen Wahrnehmung spielt Angela Bulloch bei ihren "Sound Pieces".
Im Frühling 1999 hat Angela Bulloch an einer Gruppenausstellung "power" in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig mit einem solchen "Sound Piece" teilgenommen. "Crowd Sound Piece für Leipzig (1990/99)" war ein sechs Meter langer Gang, der den Besucher mit der tosenden Geräuschkulisse eines Fußballspieles im Londoner Wembley-Stadion empfing, sobald er den Gang betrat. Genauso aprupt wie er begann, verstummte der Lärm wieder, sobald man den Gang verließ.
Benutzt man eine von Angela Bullochs Installationen, so verfällt man im ersten Moment unwillkürlich der Illusion, man könne das Kunstwerk nach seinem eigenen Belieben steuern, man übe Macht über dieses Objekt aus. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, daß das System sehr einfach ist. Oft geht es über ein simples Ein- und Ausschalten nicht hinaus. Man hat keine Möglichkeit, das System auf individuelle Weise zu steuern, sondern man agiert nur in einem von der Künstlerin bereits vordefinierten Rahmen. Man ist als Auslöser des Systems austauschbar gegen jeden anderen Ausstellungsbesucher.
Auf so simple Weise demonstriert uns Angela Bulloch, daß wir selber innerhalb solcher Systeme leben, in denen die Parameter bereits vorgegeben sind. Der Spielraum bzw. die Handlungsweite, die dem Individuum dabei eingeräumt werden, sind denkbar begrenzt.
So wird auch auf der Leipziger Messe jeder, der den Gang mit dem "Belisha Beacon Indicator System" aus irgendwelchen Gründen durchqueren muß, unwillkürlich zum Auslöser, ohne daß ihm eine Möglichkeit zur Entscheidung eingeräumt wird. Das System hat deshalb vielleicht sogar etwas von einem Kontrollsystem, da sich ihm kein Passant entziehen kann.

Trotzdem wird das der Messebesucher wohl kaum so empfinden. Eher wird er einen kleinen Moment des Staunens und freudigen Überraschtseins erleben, wenn er zum Auslöser der Leuchten wird.
Auf jeden Fall hat das System mit seinen aus einer urbanen Umgebung entnommenen Leuchten durchaus eine metropolenartige Anmutung. Ist der Verkehrsfluß durch den Gang groß, so spiegelt sich dies in einem intensiven Blinken der Lampen wider. Die Situation "Messe", das pulsierende Leben, die hektische Betriebsamkeit, das "Business" - das alles wird durch das "Belisha Beacon Indicator System" in sichtbare Lichtimpulse umgesetzt und so visualisiert.
Ein wichtiger Aspekt auf einer Messe ist das Erregen der Aufmerksamkeit, das "Sehen und Gesehen werden". Genauso wird derjenige gesehen, der Bullochs System durchschreitet. Die Leuchten machen auf ihn aufmerksam. Somit kann gesagt werden, daß es Angela Bulloch gelungen ist, auf die Situation "Messe" einzugehen und diese dem Besucher zu vergegenwärtigen.

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