Dieter Daniels :: Kunst als Sendung
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Wolfgang Mühl-Benninghaus

Kunst als Sendung

Dieter Daniels Buch gehört zu den herausragenden Monographien, die sich mit dem Wechselspiel von Kunst, Medien und Medienkunst auseinandersetzen.

Es ist in zwei aufeinander Bezug nehmende Teile gegliedert. Der erste, technikgeschichtlich orientierte, beginnt mit der Motivrekonstruktion von Kunst und Medien. Ausgangspunkt ist die zeitgleiche Eröffnung des Louvre und der ersten optischen Telegraphenlinie zwischen Paris und Lille. Kunst und Technik, so die Grundthese, wirken seit dieser Zeit aufeinander. Die frühen Medienerfinder Daguerre und Morse betätigten sich vor ihren bahnbrechenden Erfindungen selbst Künstler. Beide, der erste Fotograph und der Pionier der Telegraphie erzeugten zur zeitgenössischen Kunst inkompatible Reproduktionsverfahren, die ihrerseits die Basis für die Dominanz der medialen Wahrnehmung im 20. Jahrhundert wurden. Das Beispiel des Leinwand-Spannrahmens, in dem Samuel Morse sein Empfangsgerät installierte, symbolisiert für den Autor, dass die Medientechnik auch weiterhin auf Kunst reagiert. Dennoch mussten mit dem Aufkommen der Fotographie und Telegraphie die Künstler ihren bisherigen ästhetischen Alleinvertretungsanspruch mit den Ingeneuren teilen.

Nachdem im ersten Teil die technischen Entwicklungen dargestellt wurden, widmet sich der zweite Teil des Buches der ästhetischen und damit der theoretischen Reflexion dieses Prozesses. Der Futurismus oder der Kubismus, die Radio-Utopien Guillaume Appolinaires und eine Reihe weiterer Beispiele, die bisher noch nicht im Kontext mit der Radioentwicklung untersucht wurden, sind für Daniels entscheidende Belege für eine gleichberechtigte Beeinflussung von Kunst und Technik. Gleichzeitig richtet er sein Augenmerk auf die vielen Amateure, die insbesondere im Rundfunk wie später im Internet entscheidende Einfluss auf die Anfänge der jeweiligen Medien nehmen und damit deren industrielle Hardwareproduktion entscheidend befördern. Diese Medienamateure haben für Daniels eine entscheidende Funktion: »Was einmal die Stimulans für die Kunst war, führt nun zur Entstehung von Medientechniken. Aber diese Medientechniken werden nicht mehr erfunden, sondern evoziert, durch eine massenhafte Bewegung« (S. 231). Medien, so eine der wichtigsten Thesen dieses Buches, entstehen durch Substitution von Kunst. Utopie, welterfahrbare Kraft etc., die bisher der Kunst zugeschrieben wurden, werden nun von der Medientechnologie und vor allem durch die sie nutzenden Amateure artikuliert.

Zu den großen Stärken dieses Buches zählen die vom Autor immer wieder gezogenen intermedialen Parallelen, selbst wenn sie an einigen Stellen überspitzt sind. So entdeckt Daniels etwa in einer Rede des französischen Revolutionärs Joseph Lakanal und des ehemaligen amerikanischen Vizepräsidenten Al Gores das gleiche Versprechen einer zukünftigen medialen Demokratie und er zieht Parallelen zwischen dem zeitungszappenden Flaneur im Verständnis von Walter Benjamin und den heutigen Internetsurfern. Der Filmkunstdiskurs verdeutlich, dass die historische Perspektive der spezifischen Medienentwicklung viele von den Protagonisten als neu deklarierten Möglichkeiten relativiert. Medien-Kunst erlangt dabei für Daniel einen reproduzierenden Charakter. Sie nimmt vorweg und zeigt, was die technische Erfindungen leisten könnten, würden sie nicht im Zuge der industriellen Entwicklung für einen Massenmarkt dieser Möglichkeiten beraubt.

Die Untersuchung der Medientheorien erfolgt unspektakulär rezipierend. Am Ende werden sie alle durch das Offenlegen ihre Widersprüche und Leerstellen einer kompletten Revision unterzogen. In diesem Kontext verabschiedet sich Daniels von den allen bisherigen Versuchen, die Beziehungen von Kunst und Medien im Sinne eines Reaktions- oder Antizipationsmusters zu beschreiben. Stattdessen verwendet er mit den Begriffen »Substitution« und »Evokation« zwei in hohem Maße offene und damit anschlussfähige Begriffe. Der diesbezüglich wohl entscheidende Satz lautet: »Medien entstehen durch die Substitution ehemals zur Kunst gehörender Motive – aber die Kunst selbst hat nicht das Potential, solche Umbrüche wie etwa den Radioboom oder den Netboom zu evozieren. Die Position des modernen Künstlers bleibt, auch wenn er mit und an Medien arbeitet, die des einsamen Flaneurs, der zwar seine Erlebnisse in antizipative Werke fassen kann, aber selbst nicht das hervorbringt, was er vorausahnt.« (S. 223).

Aus der profunden Kenntnis der Geschichte überspitzt Daniels an dieser und vor allem am Ende des Buches die Rolle des Künstlers im modernen Medienbetrieb (S. 257). Dennoch sein Buch gibt eine Vielzahl meist relationistisch formulierte Antworten im Kontext eines avanciert dargestellten Überblicks von mehr als 200 Jahre Mediengeschichte, im Zusammenhang mit der nach wie vor aktuellen Frage nach dem Verhältnis von (Post-)Moderne, Technik und Kunst. Die hier vorgelegten Argumente und Fakten werden mit Sicherheit die medienhistorischen und -theoretischen Diskurse weit über Deutschland hinaus neu beleben.

aus: Rundfunk und Geschichte, 29. Jg., Nr. 3/4, 27. Januar 2004

 

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