Dieter Daniels :: Kunst als Sendung
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Lars Blunck

Kunst als Sendung

Gibt es einen Ausweg aus den sich verschärfenden Querellen zwischen Medienwissenschaft und Kunstgeschichte um den Anspruch auf Leitwissenschaftlichkeit? Dieter Daniels, Professor für Kunstgeschichte und Medientheorie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, hat in seinem Buch einen erfreulich unaufgeregten Versuch unternommen, den Wechselwirkungen von Bildenden Künsten und modernen Medien nachzuspüren. In seiner fundierten und detailreichen Analyse der Kunst- und Mediengeschichte seit der Französischen Revolution belegt er exemplarisch, wie die Kunst mediale Innovationen von der optischen Telegrafie des nachrevolutionären Frankreich bis zur ubiquitären Vernetzung der Welt im World Wide Web stimulierte. Als Gewährsmänner dienen ihm dafür zunächst Samuel Finley Breese Morse und Louis Jacques Mandé Daguerre, deren nahezu zeitgleiche Erfindungen der elektrischen Telegrafie und der Daguerreotypie in unaufhebbarer Beziehung zu ihrer vormaligen künstlerischen Praxis standen. Bei beiden wurden die künstlerischen Mittel und Ziele in medientechnische Verfahren transformiert: Medien, so Daniels, als die Fortsetzung der Kunst mit anderen Mitteln.

In seiner Analyse liefert der Autor erhellende, bisweilen überraschende Seitenblicke, Analogieschlüsse und Detailinformationen, etwa wenn er den geschäftstüchtigen Erfinder und abtrünnigen Künstler Morse, der sich im künstlerischen Wettstreit mit Europa so emphatisch den »Lorbeerkranz für Malerei« als an die USA gehend gewünscht hatte, als ideologischen und ökonomischen Vorläufer heutiger Medienstrategien vorstellt. »Durch die vom amerikanischen Venturekapital getragene Privatisierung der Telegrafie erreichte das Morse-System eine Monopolstellung, die durchaus mit der des Microsoft-Betriebssystems von Bill Gates vergleichbar ist. Und sollte es ein Zufall sein, dass auch Gates versucht, mittels der Technologie die europäische Tradition in den Griff zu bekommen, indem er weltweit Bildrechte von Meisterwerken der Kunst aufkaufte, um sie via Internet kommerziell zu vertreiben?«

Die mit Morse und Daguerre aufgenommenen Fäden knüpft Daniels zu einem medienevolutionären Strang, der sich über die Erfindungen Bells (Telefon), Edisons (Phonograph), de Forests (Broadcasting), Nipkows und Robdias (Fernsehen) bis zur lizenzfreien Einführung des World Wide Web im Jahr 1993 windet. Verwoben wird dieser mit einem zweiten Strang, der zentrale Paradigmen der Klassischen Moderne (bei Apollinaire, Delaunay, Cendrars, Kupka, Duchamp, Marinetti und anderen) unter dem Leitbegriff der Sendung bündelt. Kunst als Sendung meint bei Daniels Kunst als medientechnische Emission und Kunst als bekenntnishafte Mission. Die künstlerische Antizipation von Simultaneität, Vernetzung und Fortschritt ahne, so Daniels, etwas von dem voraus, was sich dann außerhalb der Künste als Massenmedien realisiere. Medieninnovationen erführen ihre erste Verdichtung in Kunstwerken und ästhetischen Utopien. Folgerichtig mündet die Argumentation in zwei spiegelbildliche Thesen. Erstens: Medien entstünden als Substitution für Kunst. Die ehemals zur Kunst gehörenden Motive (Utopie, weltverändernde Kraft etc.) artikulierten sich nunmehr in einer Technologie statt in einer Kunstform. Zweitens: Medienkunst (ein Begriffskonstrukt, das der Autor in Ermangelung eines besseren Terminus zu verwenden hinnimmt) sei das Reservat und Refugium, in dem im Doppelsinne des Wortes aufgehoben sei, was den Anstoß zur Entwicklung der elektronischen Massenmedien gegeben habe. So könne Medienkunst im Medium einen Blick auf dessen mögliche Zukunft öffnen, erinnere aber ebenso an jene uneingelösten Utopien, welche die Entstehung und Formierung des Mediums begleiteten.

aus: Kunstforum International, Bd. 164, März–Mai 2003

 

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