Dieter Daniels :: Kunst als Sendung
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Zauberei auf dem Sender
Versuch einer Rundfunkgroteske von Hans Flesch

Personen:

Sprecher
Märchentante
Der elektrische Kapellmeister
Der Leiter
Eine starke Stimme
Der künstlerische Assistent
Der Geiger
Der geschäftliche Direktor
Schreibmaschinenfräulein
Zauberer

SPRECHER: Frankfurt a.M. auf Welle 467 – Frankfurt a.M. auf Welle –
(Flüstern)
(Sprecher nach rückwärts)
Wie? – Nein, ausgeschlossen, draußen bleiben –
(laut)
Frankfurt a.M. auf – aber was will sie denn, die Märchentante, die Kinder schlafen doch längst – ich kann jetzt nicht, zum Donnerwetter – Frankfurt a.M. auf – was wollen Sie denn?
MÄRCHENTANTE:
(Man hört, daß sie mit Gewalt eindringt)
Nur zwei Minuten! Nur zwei Minuten!
SPRECHER: Was fällt Ihnen ein – es ist doch eingeschaltet. Ruhe!
MÄRCHENTANTE: Nur zwei Minuten, bitte.
SPRECHER: Zwei Minuten der Märchentante? Also ausschalten, ausschalten!
(Es wird versehentlich das Duca eingeschaltet; sofort bei den ersten Tönen großer Tumult)
Duca weg! Mikrofon ausschalten!
(Es wird ausgeschaltet und sofort wieder eingeschaltet)
SPRECHER: … wollen Sie denn um Gottes Willen! Sie stören unser Konzert, es war nicht zu vermeiden, daß die ganze Teilnehmerschaft diesen Zwischenfall …
ELEKTRISCHER KAPELLMEISTER:
(stürzt herein)
Der Schalter ist kaputt! Ich kann nicht ausschalten!
(Tumult)
SPRECHER: Sender abstellen!
(Durcheinander)
Musik, spielen, Märchentante raus!
DER LEITER: Was ist denn los?
SPRECHER: Herr Doktor, ich weiß nicht, was ich machen soll, ich wollte gerade unser Konzert anfangen, da kam die Dame –
(leiser)
… übrigens ist eingeschaltet. Es wird alles gehört, der Schalter ist kaputt, soll ich den Sender abstellen lassen?
DER LEITER: Ja natürlich – oder nein – lassen Sie – liebes gnädiges Fräulein, wenn es unbedingt sein muß, können wir ja unsere Angelegenheit ruhig vor den Leuten abwickeln. Was ist denn los?
MÄRCHENTANTE: Herr Doktor, bitte nur zwei Minuten. Herr Doktor, Sie machen abends so schöne Musik, Sie bringen die alte und die moderne Musik, die alle so gerne hören …
(Telefon rasselt)
SPRECHER:
(am Telefon)
Hier Sendestation. Jawohl, es wird gesendet – Es ist ein Zwischenfall –. So, das ist recht, daß Sie Ihre zwei Mark im Monat bezahlt haben. Aber deshalb kann doch einmal …
DER LEITER: Hängen Sie doch ein! Also bitte.
MÄRCHENTANTE: Sie bringen Ernstes und Heiteres … Aber alles das ist so schrecklich erwachsen. Sie vergessen die Kinder, die auch …
DER LEITER: Aber verzeihen Sie, meine Gnädigste, die Kinder kriegen …
MÄRCHENTANTE: … ihre Märchenstunde, wollen Sie sagen. Ja, das weiß ich, aber glauben Sie denn, daß das genügt? Und wenn es selbst für die Allgemeinheit der Kinder genügt: es gibt doch auch andere …
DER LEITER: Ich bitte Sie, gnädiges Fräulein, das sind ja ganz neue Prinzipien. Wir können doch jetzt nicht die Gesamtlinie des Funkspruchprogramms ändern, das können wir ja einmal im Bureau besprechen, aber doch jetzt nicht, wir haben hier ein Programm abzuwickeln und …
MÄRCHENTANTE: Gerade jetzt, Herr Doktor, gerade jetzt! Lassen Sie mich jetzt ein, ein Märchen erzählen – und wenn es nur für ein einziges Kind wäre, das jetzt vielleicht zufällig noch auf ist …
DER LEITER: Aber das geht doch nicht, wo kommen wir denn hin, wenn jeder hier machen wollte, was ihm gefällt.
(Sirenengeschrei – beendet durch Paukenschlag)
STARKE STIMME: (unheimlich klingend) Jeder macht, was ihm gefällt! Der Sender ist verrückt geworden.
(Sirene, Pauke)
(Pause – ein unheimlich kratzendes Geräusch)
MÄRCHENTANTE: Es war einmal ein Rundfunkteilnehmer, der war mit allem zufrieden, was der Sender ihm bot – das ist lange, lange her. Eines Abends …
(spricht immer weiter)
SPRECHER:
(setzt bei dem Wort »bot« ein; die Märchentante wird dabei leiser) Wir bringen Ihnen die amerikanische Produktennotierung vom (Datum), Nummero 1 – 678 1/2 – Nummero 2 (usw.)
(Während Sprecher und Märchentante weiterreden, setzen Geige und Klavier mit einem Boston ein – Nach einiger Zeit kommt eine weibliche Stimme dazu, die den »Lenz« von Hildach singt – Zwischenrufe mengen sich ein: »Zeitvorbereitung! … Hackebeil! … Lesestunde! … Palastschuhhaus! … Briefkasten … «
Aus der Ferne kommt eine Trompete dazu und spielt das »Großmütterchen«!
Crescendo! Trommelwirbel!
Schluß mit unisono Krach und Paukenschlag)
(lange Pause,
dann beginnt das kratzende Geräusch wieder)
DER LEITER:
(verstört)
Ja – was – was war das – um Gottes willen – was – geben Sie mir ein Glas Wasser – bitte – Herr Schön, haben Sie das …
(glucksendes Geräusch des Wassereinschenkens)
… ich danke Ihnen.
(trinkt)
Schön, haben Sie das am Kontrollapparat gehört?
KÜNSTLERISCHER ASSISTENT: Jawohl, Herr Doktor, alles.
DER LEITER: Was haben Sie gehört?
KÜNSTLERISCHER ASSISTENT: Also zuerst die Märchentante, dann kam der Eildienst dazwischen, dann hat Herr Meinel den Boston gespielt …
DER LEITER: Halt, lassen Sie, das stimmt also alles – Aber wer hat denn den Leuten gesagt, daß sie sprechen sollen? Herr Meinel!
DER GEIGER: Herr Doktor?
DER LEITER: Warum haben Sie denn plötzlich den Boston gespielt?
DER GEIGER: Ja, Sie haben doch selbst gesagt, ich solle …
DER LEITER: Was habe ich? Gar nichts habe ich, ich bin doch …
SPRECHER: Sie haben mir doch auch gesagt, ich solle die Eildienstmeldungen durchgeben.
DER LEITER: Seid Ihr denn blödsinnig geworden, oder glaubt Ihr, ich bin verrückt? Ich werde doch nicht …
ELEKTRISCHER KAPELLMEISTER: Herr Doktor, es ist dauernd ein kratzendes Geräusch im Apparat.
DER LEITER: Ich bitte einmal alle, ruhig zu sein.
(Pause)
Hier ist doch nichts. Hören Sie draußen was?
ELEKTRISCHER KAPELLMEISTER:
(von draußen)
Ja!
DER LEITER: Fragen Sie mal, ob am Sender etwas nicht in Ordnung ist.
(Pause, kratzendes Geräusch)
ELEKTRISCHER KAPELLMEISTER: Draußen ist alles in Ordnung.
DER LEITER: Da lassen Sie's in Gottes Namen weiterkratzen! Herr Meinel, jetzt sagen Sie mir bitte, einmal ganz genau und überlegen sich: Wer hat Ihnen was gesagt? Warum haben Sie angefangen zu spielen – – Ja, wer spielt denn jetzt schon wieder?
(Eine Violine ertönt und spielt den Anfang des blauen Himmelbetts, mehrmals wiederholt)
ANTWORT: Niemand!
DER GEIGER: Ich bin doch hier und tu gar nichts.
DER LEITER: Aber zum Donnerwetter, hören Sie denn nichts? Ruhe! (Violine spielt das blaue Himmelbett – Bei einem Ton bleibt die Melodie stehen, kommt näher, wird laut, ebbt wieder ab, neues Crescendo, wobei Cello, zweite Violine, Klavier und Trompete mit einsetzen, starkes Crescendo – Decrescendo; die anderen Instrumente hören auf, die Violine spielt dann noch zwei Takte weiter, bricht mißtönend ab, worauf ein Schlag auf der dumpfen Trommel im Taktabschluß das Intermezzo beendet – Stumme Pause – Hierauf Klirren eines zersprungenen Glases – Pause)
SPRECHER:
(ängstlich)
Sie haben das Glas heruntergeworfen, Herr Doktor.
DER LEITER: Ja, richtig, danke, entschuldigen Sie. Meine Herren, Sie haben alles miterlebt, es ist etwas Unerhörtes passiert. Es ist eine Musik erklungen, von der wir nicht wissen, wo sie herkommt. Während Sie alle hier herumstanden, hat … aber warum sehen Sie mich denn so an? Was ist denn jetzt schon wieder? Herr Schön, bitte, antworten Sie doch! KÜNSTLERISCHER ASSISTENT: Ja, Herr Doktor – wir haben – ich meine – es ist doch eben gar kein Musikstück gewesen – es war doch gar nichts zu hören …
DER LEITER: Was – wollen Sie behaupten, Sie hätten nichts gehört? Es war doch ganz laut und deutlich – erst eine Geige – das blaue Himmelbett – Sie standen doch auch alle da wie vor den Kopf gestoßen.
DER GEIGER: Wir haben nur so dagestanden, weil Sie so verstört waren. DER LEITER: Ja – dann – meine Herren – dann bin ich verrückt geworden. Dann ist absolut nichts mehr zu machen – nein –.
(Telefon rasselt)
DER LEITER:
(am Telefon)
Ja? Ob der Wahnsinn auf dem Sender nicht bald aufhört? – Nur Unsinn? – Eine lange Pause? Dann ein zerspringendes Glas? – Schluß! Ich hab' keine Zeit! – – Herr Schön, halten Sie es für möglich – ich meine – ganz im Prinzip, daß eine Musik ertönt, die tatsächlich nirgends gespielt wird? Ich meine, ob Sie das für möglich halten?
KÜNSTLERISCHER ASSISTENT: Personifizierte künstlerische Konzeption, Herr Doktor, Palestrina erster Akt! Beethovenbilder!
DER LEITER: Aber ich bin doch kein Komponist! Ich bin …
SPRECHER: Der geschäftliche Direktor ist draußen und möchte Sie einen Moment sprechen, Herr Doktor.
DER LEITER: Ja, ich komme.
(im Abgehen)
Mein Gott, mein Gott, was ist das …
(ab)
(Das Folgende hastig und gedämpft)
ELEKTRISCHER KAPELLMEISTER: Er ist verrückt geworden. Er ist wahnsinnig.
(Große Unruhe, Rufe: »Was machen wir mit ihm –
grauenhaft – Irrenhaus – telefonieren«)
Stuttmann, telefonieren Sie sofort nach einem Arzt.
STUTTMANN: Welcher Arzt denn?
ELEKTRISCHER KAPELLMEISTER: Ganz egal, irgendeinen Arzt.
STUTTMANN: Jawohl.
ELEKTRISCHER KAPELLMEISTER: Was macht er denn eigentlich eben?
DER GEIGER: Er spricht mit dem geschäftlichen Direktor.
ELEKTRISCHER KAPELLMEISTER: Der Sender ist doch abgestellt.
EINE STIMME: Selbstverständlich.
DER LEITER:
(im Hereinkommen)
Also, mein Lieber, ich weiß so sicher, wie ich hier stehe, daß vorhin hier Musik – eine ganz verrückte Musik – wie ein in die Länge gezogenes blaues Himmelbett zu hören war. Alle leugnen das ab – ohne daß jemand hier ein Instrument angerührt hat.
DIREKTOR: War das vielleicht eine auswärtige Station?
DER LEITER: Ausgeschlossen! Es war hier im Raum. Sag mal, hältst Du das für möglich – kann das sein?
DIREKTOR: Was?
DER LEITER: Nun, daß eine Musik erklingt, ohne daß jemand spielt. Kannst Du das verstehen?
DIREKTOR: Nein, das ist völlig unmöglich.
DER LEITER: Es war aber doch da!
DIREKTOR: Du mußt Dich geirrt haben. Eine solche Art von Musik müßte ja – da sie keiner macht – wenn es das gäbe – honorarlos vor sich gehen, und ich halte es vom geschäftlichen Standpunkt aus leider für völlig ausgeschlossen, daß hier auf dem Sender irgendwie irgendeine Art von Musik entstehen könnte, für die nicht prompt eine Honorarforderung einliefe.
DER LEITER: Man kommt aber nicht mit der Logik des Kassabuches aus! Heute hat sich das wieder einmal gezeigt. – Überhaupt, dieser ganze Abend …
Erst die Märchentante, die – wo ist sie eigentlich?
(Rufe)
Fräulein Gehricke!
(Rufe nach außen)
SPRECHER: Sie ist nicht mehr da.
DER LEITER: Wann ist sie denn weg?
(Schweigen)
Ich habe sie nicht fortgehen sehen. Sie ist einfach verschwunden. Da ist ein Komplott! Was wollt Ihr eigentlich alle? Aber ich werde das festhalten. Ich will sofort ein Protokoll diktieren. Rufen Sie die Schreibmaschinendame!
DIREKTOR:
(nach einer Pause)
Aber mein Lieber, beruhige Dich jetzt.
Die Schreibmaschinendame kann doch nicht da sein. Wir sind doch hier im Sender und nicht im Büro.
(Man hört Schreibmaschinengeklapper)
DER LEITER: Aber bitte, da ist sie doch schon: Liebes Fräulein, bitte schreiben Sie: Protokoll – haben Sie?
SCHREIBMASCHINENFRÄULEIN: Jawohl, Herr Doktor.
LEITER: Am 24. Oktober 1924 sollte um halbneun Uhr
abends wie gewöhnlich – haben Sie?
SCHREIBMASCHINENFRÄULEIN: Um halbneun Uhr abends wie gewöhnlich –
LEITER: … das Abendkonzert beginnen. Schon bei den einleitenden Worten …
(Während der Leiter diktiert, wird es im Raum immer unruhiger – Rufe: »Nervenzusammenbruch«, »völlig verrückt«, »beruhigen«)
LEITER: Was wollt Ihr denn, zum Donnerwetter! Laßt mich doch in Ruh'. Ich diktiere …
(hastig)
… still, Ruhe, hört Ihr denn nichts? Die Musik!!!
(Sämtliche Instrumente setzen piano mit der gleichen
Quinte ein, wachsen an, werden wieder leiser – Wellenform – Schließlich Crescendo, bis alle Streicher die Quinten auf ihren Saiten heraufrutschen lassen, Klavier glissando, so daß alles auf einen Sopranschrei abbricht – Die Wirkung dieses Schlusses muß die unheimlichste und stärkste sein, so daß die darauf einsetzende Ruhe das Kommende als unheimlich vorbereitet)
ZAUBERER:
(in die Stille hinein)
Guten Abend.
SPRECHER:
(flüsternd)
Der Arzt Gott sei Dank, der Arzt.
LEITER: Was … wer … der Arzt. Wozu einen Arzt? Wer hat Sie bestellt? Habt Ihr den bestellt? Ihr seid wohl blödsinnig? Ich brauche keinen Arzt. Ihr seid verrückt! Herr, gehen Sie um Gottes willen, machen Sie schleunigst, daß Sie fortkommen, oder …
ZAUBERER: Beruhigen Sie sich, Herr Doktor, ich bin kein Arzt.
STIMME: Ja, wer sind Sie denn?
LEITER: Wer sind Sie denn, wie kommen Sie denn hierher? Übrigens, ich kenne Sie doch, glaube ich.
ZAUBERER: Jawohl, Herr Doktor, Sie kennen mich. Ich war vor einigen Tagen im Bureau bei Ihnen.
KÜNSTLERISCHER ASSISTENT: Richtig! Das ist ja der verrückte Zauberkünstler, der für einen Abend engagiert sein wollte, um im Sender seine Kunststücke zu machen.
DIREKTOR: Was wollte der?
KÜNSTLERISCHER ASSISTENT: Er wollte Taschenspielerkunststücke im Sender machen, Sachen, die man nur sehen kann, im Rundfunk. Er wollte im Sender zaubern.
(allgemeines Gelächter – während die Leute des Senders sich unterhalten,
wird leise mit Trommelschlägen auf ein Becken vorsichtiger Wirbel geschlagen, sobald der Zauberer spricht)
ZAUBERER: Ich habe im Sender gezaubert.
(stumme Pause)
DER LEITER: Was – haben – Sie?
ZAUBERER: Ich habe mich gerächt. Ich habe eine Lektion erteilt, aber keine Esperantolektion. Eine Zauberlektion. Sie wollten nicht an mich glauben. Ich habe Sie gezwungen, an mich zu glauben. Warum erlaubten Sie mir nicht, den Leuten meine Kunststücke im Sender vorzumachen; harmlose, fröhliche Zaubereien, die die Leute erfreut hätten, ich bat Sie doch dringend genug, mir zu glauben, daß die Rundfunkhörer, kraft meiner Macht Funkzuschauer werden könnten. Sie haben mich ausgelacht!
Die Leute hätten alle diese lustigen Dinge in ihren Elektronenröhren, in ihren Detektoren gesehen, gesehen, ja, Herr Doktor, gesehen, so wie Sie mich hier vor sich stehen sehen. Ja, mehr noch, so wie dieselben
Rundfunkhörer mich auch jetzt sehen.
(zum Apparat)
Meine Damen und Herren, sehen Sie fest – ganz fest in Ihren Apparat, in die Glühfarben Ihrer Verstärkerröhren, auf das Krystall Ihres Detektors –
ich zähle bis drei – auf drei sehen Sie mich alle, Achtung, eins – zwei …
ELEKTRISCHER KAPELLMEISTER: Aber Herr, das ist doch wahnsinnig!
DER LEITER: Schaffen Sie den Menschen doch ins Irrenhaus!
(Tumult)
ZAUBERER: Vergessen Sie nicht, daß man Sie, verehrter Herr Doktor, vor fünf Minuten ins Irrenhaus bringen wollte.
DER LEITER: Was wollte man mich?
ZAUBERER: Sie glauben schon wieder nicht.
DER LEITER: Nichts glaube ich! Alles ist Unsinn!
Das einzige, was besteht, ist, daß wir hier zu tun haben und daß Sie uns stören.
ALLE: Jawohl! Heraus! (usw.)
ZAUBERER: Sind Sie nicht zu bekehren? Was haben Sie denn so Wichtiges zu tun?
DER LEITER: Wir wollen den Leuten etwas Schönes bieten! Die Leute haben keine Lust, Ihre Cagliostro-Scherze weiter mit anzuhören. Es wird gesendet!
Meinel, Merten, auf! Los! – Wir spielen den Donauwalzer! Den alten Strauß! Die gute, fröhliche Musik gegen all den Wust und Unsinn.
(Man hört Stimmen der Instrumente, Unruhe, Stühlerücken – Pause)
DER LEITER: Warum fangt Ihr nicht an? – Stuttmann, sagen Sie an!
SPRECHER: Frankfurt a.M. auf Welle 467. Wir spielen jetzt »An der schönen blauen Donau« von Johann Strauß.
(Pause)
DER LEITER: Was ist denn los? Los doch, anfangen!
(Die Musik setzt mit dem Donauwalzer ein, aber im Largo-Tempo; jeder Ton ringt sich mit Gewalt los)
DER LEITER: Was ist denn los? Los doch, anfangen! Schneller!
DER GEIGER: Wir können nicht!
(Tumult, Musik bricht ab)
(Zauberer lacht)
DER LEITER: Lachen Sie nicht! Es geht, es muß! Noch einmal! Noch einmal!
(Die Musik spielt in richtigem Tempo, aber jedes Instrument in einer anderen Tonart, die nicht weiter als einen halben Ton voneinander entfernt sein darf)
DER LEITER: Aufhören, aufhören!
ZAUBERER: Glauben Sie noch nicht?
DER LEITER: Nein! Ich darf an diesen Unsinn nicht glauben! Ich gehe kaputt! Ich bin zu Ende, wenn dieser Unsinn siegt!
ZAUBERER: Dann werden Sie wohl zugrunde gehen müssen.
DER LEITER: Das wollen wir sehen? Spielen Sie!
(Die Musik spielt richtig und in richtigem Tempo, wiederholt aber ständig die ersten vier Takte, wobei sie immer hastiger wird)
ZAUBERER: Sie sehen: Wie ein Grammophon, das hängen bleibt.
DER LEITER: Halt!
(Musik bricht ab)
Ich kann nicht mehr.
(Beckenschlag, Pause)
ZAUBERER: Wollen Sie mir immer noch nicht glauben?
(Pause – Man hört das Stöhnen des Leiters und das Murmeln der Musiker)
DER LEITER: Dann bin ich also wirklich geschlagen. Dann hat also der Unsinn recht behalten. Dann ist es also wirklich so, daß wir etwas tun wollten, was richtig ist, und konnten es nicht, weil ein anderer etwas tun wollte, was falsch ist. Dann hätte also alles – – Nein! Das ist ausgeschlossen! Die ganze Weltordnung müßte damit zusammenbrechen! Es wäre ein völlig neues Moment geschaffen! Die Weltgeschichte hätte ihren Sinn verloren. Die Ordnung wäre nicht mehr Herr? Wir müssen uns alle erschießen! Nein! Nein!
(Zum Zauberer)
Ich gebe zu, daß wir alle oft nicht aufpassen und daß wir, wenn wir nicht aufpassen, besiegt werden können. Aber letzten Endes wollen wir die Ordnung und Sie die Unordnung, und sicher ist die Ordnung das Richtige und die Unordnung das Falsche. Wenn wir also wollen, dann müssen wir stärker sein als Sie. Jawohl, mein Lieber. Jetzt spielen wir noch einmal, aber jetzt wird's! Los, die schöne, blaue Donau!
(Die Musik setzt ein und spielt die schöne, blaue Donau mit fabelhaftem Schwung – Man hört Rufe: »Wo ist der Zauberer?« – Erstaunen, daß er weg ist – Die Musik spielt den Donauwalzer in Ruhe zu Ende)

Hans Flesch: Zauberei auf dem Sender (1924), aus: Ulrich Lauterbach (Hg.): Zauberei auf dem Sender und andere Hörspiele, Frankfurt a.M. 1962. S.23–25. Zuerst in: Funk 35, 1924, S. 543–546

Betrifft
Kapitel 9. 5. , Seite 238–239
Sachregister
Dichtung, Hörspiel, Radio
Namensregister
Flesch, Hans
Bildbezüge
Flesch als »Hörspielmixer«
 

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