Zum Inhalt springen / Jump to content

Vorwort

Die vorliegende Publikation »Orte, die man kennen sollte – Ausstellung und Texte« widmet sich den künstlerischen Projekten und dem theoretischen Kontext des zwischen Herbst 2011 und Sommer 2013 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig durchgeführten Projektseminars. Der erste Band mit dem Titel »Orte, die man kennen sollte – Dokumentation« (erschienen im Januar 2013) umfasst die fotografisch-dokumentarische Annäherung an Leipziger Orte, die auf sehr unterschiedliche Weise Spuren der nationalsozialistischen Vergangenheit zeigen.[1]Dieter Daniels / Torsten Hattenkerl (Hg.): Orte, die man kennen sollte. Spuren nationalsozialistischer Vergangenheit in Leipzig. Dokumentation, Leipzig 2013. Einige der bereits im ersten Band dokumentierten Orte werden im vorliegenden zweiten Band einer vertieften künstlerischen und historischen Analyse unterzogen. Weitere Orte, Anlässe und persönliche Motive, die den Seminardiskurs über aktuelle Erinnerungskultur prägten, sind hinzugekommen. Der Kontext einer Kunsthochschule ermöglicht nur selten eine solche Konzentration auf ein Thema für die Dauer von zwei Jahren. Deshalb sei ein kurzer Rückblick auf die Ausgangssituation und die Motivation gestattet.

Vorangegangen ist dem Projekt »Orte, die man kennen sollte« die Beschäftigung mit der KZ-Gedenkstätte »Mittelbau-Dora« bei Nordhausen im Harz in den Jahren 2010/11. Auch das Projekt »Dora – Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur« mündete in Ausstellungen in München und Leipzig und wird durch eine Publikation dokumentiert.[2]Dora – Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur, 2011, http://www.hgb-leipzig.de/universalcube/ndxz-studio/site/img/Dora-Katalog.pdf.

Die Stadt Leipzig, im Besonderen das Referat für politische Bildung, zeigte in der Folge großes Interesse, eine ähnliche Recherche und künstlerische Arbeit im eigenen städtischen Kontext durchführen zu lassen. Eine damit verbundene erste finanzielle Förderung ermöglichte die Einladung mehrerer externer Expert/innen und Künstler/innen zu diesem Thema sowie eine fachlich hoch qualifizierte Vorbereitung auf die eigene künstlerische Praxis und theoretische Auseinandersetzung.

Neben den beschriebenen, positiven Rahmenbedingungen für das Projekt »Orte, die man kennen sollte« war jedoch die eigentliche Motivation, sich der Problematik zu stellen, ein von allen Seminarteilnehmer/innen empfundenes Unbehagen bei der Betrachtung der oftmals in Konventionen erstarrten gedenkpolitischen Rituale und den teilweise hilflosen Versuchen von Zeichensetzungen der Erinnerungskultur in Bezug auf die Aufarbeitung bzw. den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Im Laufe der Projektarbeit stellten wir fest, dass wir damit nicht alleine waren, und es mehrten sich die Stimmen, die eine »Renovierung der deutschen Erinnerungskultur« forderten.[3]Dana Giesecke / Harald Welzer: Das Menschenmögliche: Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 2012. Vgl. dazu ausführlicher den Text von Susan Baumgartl im vorliegenden Band.

Von Protokollen bestimmte Feierlichkeiten, die sich in nur leichten Variationen von Jahr zu Jahr wiederholen, und zahlreiche Gedenktafeln, deren Widmung oder Adressaten oft undifferenziert bleiben (z.B. »den Toten« oder »den Opfern«, aber fast nie mit Bezug auf die Täter), erzeugen zwar in der Regel nach wie vor beim sensiblen Betrachter eine Betroffenheit, die lange als einziges Heilmittel gegen neo-nationalsozialistische Tendenzen in der Gesellschaft galt. Sie zeugen aber gleichzeitig von einer gewissen Hilflosigkeit, manchmal sogar von einer zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber dem eigentlichen Auftrag und Zweck.

An die Stelle dieser überholten und unzureichenden Praxis muss eine stärkere Einbeziehung der jüngeren Generationen treten, die diesen Ritualen großenteils kritisch gegenüberstehen. Dabei müssen neuen Formen der Zivilcourage auch andere Handlungsspielräume zugestanden werden. Der künstlerischen, den Betrachter fordernden und aktiv einbeziehenden Form des Erinnerns wird dabei eine wichtige Bedeutung zukommen. Die Teilnehmer/innen des Projekts haben vor diesem Hintergrund versucht, Perspektiven und Möglichkeiten eines solchen Handelns aufzuzeigen.

Im Verlauf des Projekts zeigten sich immer wieder die Herausforderungen und spezifischen Probleme eines angemessenen Umgangs mit dem Thema Nationalsozialismus, sowohl in der Auseinandersetzung mit Instanzen außerhalb der Hochschule bei der Realisierung von Arbeiten im öffentlichen Raum als auch in den internen Diskussionen und Konflikten, die sich teilweise wiederum gerade an den externen Reaktionen entzündeten. Dem stand andererseits gerade wegen des Themas Nationalsozialismus eine überraschend breit gestreute positive Resonanz gegenüber. Aus langen Diskussionen, intensiven Recherchen und zufälligen Begebenheiten vor dem Hintergrund von Stadtgeschichte, eigenen Biografien und Familiengeschichten entstand ein vielfältiges, heterogenes Ergebnis in Form von zwei Ausstellungen und Publikationen. Der auch innerhalb der Gruppe nicht unumstrittene Imperativ des Titels »Orte, die man kennen sollte« war dabei zugleich Herausforderung an die eigene Arbeit und eine an die Öffentlichkeit gerichtete Frage, auf die zahlreiche Antworten möglich sind.

Jochen Gerz sagte in seinem Vortrag an der HGB, dass für ihn der Ausgangspunkt seiner künstlerischen Arbeit zum Nationalsozialismus und Holocaust die Mutlosigkeit einer Gedenkkultur war, die »keine Mehrheit in sich selbst hatte.« Stattdessen wollte er Mut machen, etwas zu tun, und dazu gehört auch der Mut, vielleicht etwas Falsches zu machen. Auch im Verlauf des Projekts »Orte, die man kennen sollte« ergaben sich immer wieder Momente der Unsicherheit in dem künstlerischen oder politischen Selbstverständnis, der Ohnmacht gegenüber der Nichtabschließbarkeit der Geschichte, der Irritation über den eigenen Beitrag. Eine der wesentlichen Erfahrungen lag darin, dass man nicht umhin kommt, Position zu beziehen, wenn es um dieses Thema geht. Weder als Künstler/in noch als Wissenschaftler/in ist eine neutrale, distanzierte Haltung auf Dauer möglich, sondern Ästhetik und Engagement erweisen sich als ebenso gekoppelt wie Theorie und Empathie.

Ein großer Dank gilt den Gästen, Vortragenden und Gesprächspartner/innen, die im Verlauf von zwei Jahren wesentliche Impulse für das Projekt geleistet haben (in chronologischer Abfolge):

Ein herzlicher Dank geht an Marta Pohlmann-Kryszkiewicz, die als Projektassistentin den gesamten Projektverlauf von 2011 bis 2013 höchst kompetent begleitet hat.

Besonderer Dank gilt Dr. Harald Langenfeld, Vorsitzender der Vorstands der Sparkasse Leipzig und Frau Constanze Treuner, Kunsthalle der Sparkasse Leipzig für den Erwerb der fotografischen Dokumentation, die einen dauerhaften Verbleib der 264 Fotografien als Ensemble in Leipzig ermöglicht; zugleich wurde damit die Realisierung des vorliegenden zweiten Bandes sichergestellt.

Dieter Daniels / Torsten Hattenkerl
^