Bertolt Brecht, »Der Lindberghflug«, szenische Aufführung des Radiohörspiels mit Demonstration der geplanten Hörerbeteiligung, Baden-Baden 1929

Das Programmheft der Baden Badener Feststpiele nennt nicht weniger als drei verschiedene Aufführungen des »Lindberghflugs«. Zuerst am Samstag dem 27. Juli 1929 eine konzertante, öffentliche Generalprobe, die allerdings aus Zeitgründen ausfällt, dann eine radiophone Uraufführung, bei der das Publikum nur über Lautsprecher der Aufführung folgt, die aus einem Aufnahemstudio im Haus direkt per Kabel in die umliegenden Säale übertragen wird. Beide stehen unter der Regie von Ernst Hardt, dem Auftraggeber des Stücks von der Rundfunkseite her. Ihre Gegenüberstellung sollte dem Publikum den Vergleich der verschiedenen Klangwirkung im Konzertsaal und vor dem Lautsprecher ermöglichen, denn diese Frage nach der »Originalmusik für den Rundfunk« steht im Zentrum des gesamten Festivalprogramms. Den Abschluss bildet Brechts eigene szenische Inszenierung am nächsten Tag, gefolgt von der Uraufführung seines »Lehrstücks vom Einverständnis«, das die komplementäre Ergänzung zum »Lindberghflug« bildet. Diese zwei Inszenierung Brechts werden nicht vom Radio übertragen, das wäre auch gar nicht möglich, da sie in keiner Weise dem an Komponisten gerichteten Aufruf zum Musikfest folgen, der ausdrücklich die »Berücksichtigung der absoluten Ausschaltung der Optik, so dass der Inhalt dem Zuhörer restlos aus dem Gehörten klar wird« fordert. Während das »Lehrstück« mit Filmsequenzen und Kostümen arbeitet, ist Brechts Inszenierung des »Lindberghflugs« gezielt gegen Hardts radiophone Regieversion gerichtet, die in ganz Deutschland von den Sendeanstalten übernommen wird. Nur das Fachpublikum in Baden Baden erfährt etwas über die »andere Verwendungsmöglichkeit solcher Werke« die Brecht in einer Einführungsrede dezidiert von dem »akustischen Gemälde« unter der Regie Hardts absetzt, das »zur Empfindung anregt« und »eine künstlerische Suggestion« auf den Hörer ausüben soll. |1

Der geplante Vergleich von konzertanter Generalprobe und radiophoner Uraufführung zeigt die Fragestellung des Rundfunks, der sich ausschliesslich mit der adäquaten Kunstform für seinen eigenen Medienapparat befasst. Dies entspricht ganz dem Thema des Baden Badener Musikfests und die beiden Komponisten des Lindberghflugs sind einschlägige Spezialisten dazu, Weill mit seinen Thesen zu einer »absoluten Radiokunst« und Hindemith als Lehrer an der Rundfunkversuchsstelle der Hochschule für Musik in Berlin. Für Brecht hingegen stehen die ästhetischen Fragen mit der Funktion des Apparats selbst in Zusammenhang. In der szenischen Aufführung schafft er auf der Bühne ein Modell für seine andere Verwendung: »Es könnte wenigstens optisch gezeigt werden, wie eine Beteiligung das Hörers an der Radiokunst möglich wäre. (Diese Beteiligung halte ich für notwendig zum Zustandekommen des ›Kunstaktes‹)«, schreibt er in einem Brief an Hardt, den er vergeblich für seine Pläne zu gewinnen versuchte. »Ich schlage also folgenden kleinen Bühnenaufbau für diese Demonstration vor: Vor einer grossen Leinwand, auf die beiliegende Grundsätze über die Radioverwertung projiziert werden – diese Projektion bleibt während des ganzen Spiels stehen –, sitzt auf der einen Seite der Bühne der Radioapparat, Sänger, Musiker, Sprecher usw., auf der anderen Seite der Bühne ist durch einen Paravent ein Zimmer angedeutet und auf einem Stuhl vor einem Tisch sitzt ein Mann in Hemdsärmeln mit der Partitur und summt, spricht und singt den Lindberghpart. Dies ist der Hörer. Da ziemlich viele Sachverständige anwesend sein werden, ist es wohl nötig, auf der einen Seite die Aufschrift ›der Rundfunk‹, auf der anderen die Aufschrift ›der Hörer‹ anzubringen.« |2 Da Hardt nicht dazu bereit ist, hält Brecht selbst vorab eine kurze Rede in der er erklärt: »Sie sehen also auf der Bühne auf der einen Seite den Rundfunk placiert, auf der anderen Seite den Hörer und sie werden sehen, dass Rundfunk und Hörer hier gemeinsam das Werk aufführen, sich also gegenseitig sozusagen in die Hände spielen und zwar so, dass der Rundfunk alles das dem Hörer liefert, was der Hörer selbst schwer erzeugen kann, was er aber braucht, um seinen Part aufführen zu können.« |3 Dies entspricht den im Brief erwähnten und auf die Bühne projizierten »Grundsätzen« wo es heisst: »Freischweifende Gefühle anlässlich von Musik, besondere Gedanken ohne Folgen, wie sie beim Anhören von Musik gedacht werden, Erschöpfung des Körpers, wie sie beim blossen Anhören von Musik leicht eintritt, sind Ablenkungen von der Musik. … Um diese Ablenkungen zu vermeiden, beteiligt sich der Denkende an der Musik, hierin auch dem Grundsatz folgend: Tun ist besser als fühlen …« |4 Die Theorie bildet somit in doppelter Hinsicht das Bühnenbild für die Praxis, sie wird in der Demonstration vorgeführt und steht als These nachlesbar im Hintergrund.

Das es über diese Gegenüberstellung von zwei Regieversionen zu Differenzen zwischen Hardt und Brecht kommt, ist so verständlich wie nebensächlich. |5 Doch die zentrale Frage lautet: warum arbeitet Brecht hier mit ausschliesslich szenischen Mitteln, um sein Modell einer anderern Verwendung des Radios vorzuführen – statt zum Beispiel wie Hardt die aufgebaute Lautsprecheranlage zu nutzen, um eben seine Version eines anderern radiophonischen Erlebens gegen die »offizielle« Fassung des Rundfunks zu stellen? Brecht ist klar, dass seine Version nicht für die am nächsten Tag aus Frankfurt erfolgende deutschlandweite Sendung des Stücks in Frage kommt, wie er in seiner Vorrede sagt wegen »organisatorischen Schwierigkeiten – es müssten ja dem Hörer Partituren ins Haus geliefert werden und vor allem eine grosse Propaganda entfaltet werden…« Doch ist sie überhaupt für eine Radiosendung verwendbar? Brecht nennt folgendes Beispiel: »Damit Sie sich den pädagogischen Wert vorstellen können, den Wert, den eine solche Kunstübung für den Staat besässe, stellen Sie sich etwa vor, dass die Knabenschulen mit dem Rundfunk zusammen solch ein Werk aufführten. Tausende junge Leute würden in ihren Klassenzimmern angehalten werden, jene heroischen Haltung einzunehmen, die Lindbergh in diesem Werk auf seinem Flug einnimmt.« |6 Das Brecht es mit dieser propagandistischen Verwendung seines Stücks ernst meint, zeigt der spätere Untertitel »Ein Radiolehrstück für Knaben und Mädchen«. Spätestens hiermit wird klar, dass es Brecht kaum um die Fragen radiophoner Kunst geht, sondern um die politische Verwendung des Rundfunks, also letztlich um eine neue Gesellschaftsordnung, in der dem Radio eine andere, vor allem pädagogische Rolle zukäme.

Dieter Daniels

1 Reiner Steinweg, Hg., Brechts Modell der Lehrstücke. Zeugnisse, Diskussion, Erfahrungen, Frankfurt. a. M., 1976, S. 39f, vgl. Klaus-Dieter Krabiel, Brechts Lehrstücke, Stuttgart / Weimar 1993, S. 335, der nachweist das die Rede von Brecht und nicht wie sonst teilweise angenommen von Hardt gehalten wird.

2 Bertolt Brecht, Gesammelte Werke 1988 ff Bd. 28, S. 322

3 Reiner Steinweg, Hg., Brechts Modell der Lehrstücke. Zeugnisse, Diskussion, Erfahrungen, Frankfurt. a. M., 1976, S. 39f

4 Bertolt Brecht, Gesammelte Werke 1988 ff Bd. 28, S. 323, vgl. vgl. Klaus-Dieter Krabiel, Brechts Lehrstücke, Stuttgart / Weimar 1993, S.335 zu dem Textteil der auf der Bühne zu lesen ist und zu Brechts signifikanten Auslassung gegenüber der ersten Fassung aus dem Brief an Hardt.

5 Siehe: Gerhard Hay, Bertolt Brechts und Ernst Hardtss gemeinsame Rundfunkarbeit, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft, 12. Jg., Stuttgart 1968

6 Reiner Steinweg, Hg., Brechts Modell der Lehrstücke. Zeugnisse, Diskussion, Erfahrungen, Frankfurt. a. M., 1976, S. 40

Bildnachweis: Peter Dahl, Radio. Sozialgeschichte des Rundfunks für Sender und Empfänger, Reinbek bei Hamburg, 1983, S. 125

Fenster schließen
Start ::: Datenschutzerklärung ::: Impressum