Dieter Daniels :: Kunst als Sendung
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Malte Oberschelp

The Medium is the Meisterwerk

Morsen, Funken, Fotografieren: Dieter Daniels betont die wechselseitige Beeinflussung von Kunst und Technik

Medienkunst ist eine knifflige Angelegenheit. Sich der Techniken zu bedienen, über die zugleich etwas ausgesagt werden soll, kann inzestuös wirken wie ein Insidergeschäft an der Börse oder Eigenhypnose in der Wissenschaft. Manche Beobachter haben daraus den Schluss gezogen, dass die Kunst insgesamt überflüssig geworden ist, weil die Massenmedien an ihre Stelle getreten seien. »Alle moderne Kunst ist ›Medienkunst‹«, sagt dagegen der Leipziger Kunstgeschichtler und Medientheoretiker Dieter Daniels – weil sich die Künstler in ihrem ästhetischen Alleinvertretungsanspruch spätestens seit der Erfindung der Fotografie 1839 von den Ingenieuren bedroht sahen und auf die technische Konkurrenz reagieren mussten.

In seinem Buch Kunst als Sendung. Von der Telegrafie zum Internet blickt Daniels auf die gemeinsame Geschichte von Kunst und Medien zurück. Die zeitgleiche Eröffnung des Volksmuseums Louvre sowie der ersten optischen Telegrafenlinie von Paris nach Lille während der Französischen Revolution ist für ihn der Startschuss einer Wechselbeziehung, die bis heute andauert. Nicht nur, lautet die These des Buches, hat die Technik immer wieder die Kunst verändert, sondern auch Künstler haben Funktionsweise und Wirkung der Medien antizipiert. Symbolisiert wird dieser Ansatz in einer Abbildung des ersten elektrischen Telegrafen aus dem Jahre 1837. Der Erfinder Samuel Morse, ein ehemaliger Porträt- und Historienmaler, installierte sein Empfangsgerät in einem Leinwand-Spannrahmen.

Theoretisch setzt sich Daniels damit von den Thesen Friedrich Kittlers ab. Der hatte, in einer Übertragung von Marshall McLuhans Credo »The Medium is the Message« auf die künstlerische Produktion, jede Kreativität auf die Paradigmata der technischen Hardware zurückgeführt. Der Dichter als Effekt von Gänsekiel, Schreibmaschine und Computertastatur – diesem Bild widerspricht Daniels, und das, ohne ein alles aus sich erschaffendes Genie reinstallieren zu wollen. Die Künstlervergangenheit eines Samuel Morse und die Esoterik eines Nikola Tesla, auf der anderen Seite die Radio-Utopien Guillaume Appolinaires oder die Technikbegeisterung der italienischen Futuristen sind für Daniels Beleg einer gleichberechtigten Beeinflussung. »Ein eindeutiger Gegensatz zwischen rational arbeitenden Technikern und Wissenschaftlern zu irrational beeinflussten Künstlern lässt sich so nicht halten.«

Nebenbei relativiert Kunst als Sendung am Beispiel des Radios eine weitere einflussreiche These Kittlers: dass jede mediale Innovation auf Militärtechnik beruhe. »Die Hörer sind schon da, bevor die Sender überhaupt anfangen«, hat demgegenüber Daniels’ Studie ergeben. Noch ehe die ersten staatlichen Rundfunkprogramme aus den Funk-Experimenten des Ersten Weltkriegs hervorgehen, gibt es in Deutschland Tausende von Radio-Amateuren, die jedes Fiepen aus dem Nachbardorf so begeistert begrüßen wie heute ein Signal aus dem Weltall. Eine Entwicklung, die Daniels bei der Genese des Internet nahezu identisch wiederkehren sieht.

Solche intermedialen Parallelen kommen in diesem Buch häufig vor und sind eine seiner großen Stärken. Daniels vergleicht eine Rede des französischen Revolutionärs Joseph Lakanal mit einer »modernen« des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gores und entdeckt das gleiche Versprechen medialer Demokratie. Er untersucht, was der zeitungszappende Flaneur im Sinne Walter Benjamins mit dem Internet-Surfer zu tun hat und verschaltet Polemiken Charles Baudelaires gegen das frühe Massenmedium Fotografie mit der Big Brother-Debatte.

Dabei sind es immer wieder französische Quellen, die Daniels neu in die Diskussion einbringt. Er geht auf Zeichnungen des Eiffelturms von Robert Delaunay ein, die das Pariser Wahrzeichen als Funkantenne thematisieren. Anhand der Entwicklungsstufen von Édouard Manets Bild Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko vollzieht er nach, wie das Dokumentarische – Zeitungsdepeschen, Zeugenaussagen, Fotos – in die Historienmalerei einbricht. Oder er bespricht Phillippe Villiers Edinson-Roman Die Eva der Zukunft, auch hier mit einem Ausflug in die mediale Zeitmaschine: Wie Villiers 1886 die Konstruktion eines weiblichen Androiden schilderte, erinnert Daniels an die Science-Fiction eines William Gibson.

Die historische Perspektive führt zu Relativierung: Manche Medien und ihre Kunst sind nicht so neu, wie sie gerne wären. »Über die Filmkunst wird in den 1920er, über die Videokunst seit den 1960er und die Netzkunst in den 1990er Jahren oft so debattiert, als hätte es die schon seit mehr als ein Jahrhundert existierenden Prozesse der Konkurrenz und Interferenz zwischen Medien und Künsten nie gegeben«, schreibt Daniels. Vor diesem Hintergrund erhält die Medienkunst ihre strukturell immer gleiche Aufgabe: Sie nimmt erst Medien vorweg und zeigt dann, was die Erfindung hätte leisten können, wäre sie nicht während ihrer Weiterentwicklung zum Massenmedium ihres utopischen Potenzials beraubt worden.

Das muss man nicht so sehen. Aber dass Kunst als Sendung Erfinder-Biografie, Kunst- und Technikgeschichte, Diskursanalyse, ästhetische Theorie und Bilderbuch zugleich ist und zudem völlig unaufgeregt mit etablierter Medientheorie bricht, macht das Buch so spannend wie seinerzeit Kittlers Anti-These Film, Grammophon, Typewriter. Und dass Daniels im historischen Teil weitgehend nach hinten schaut, um die Gegenwart besser in den Blick zu bekommen, ist ein Kniff, von dem auch die aktuelle Medienkunst mit ihrer Fixierung auf Interaktivität und Audiovisualität noch etwas lernen könnte.

aus: Frankfurter Rundschau, 05.02.2003; http://www.fr-aktuell.de/.../das_politische_buch/

 

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