»Kunst muss es geben: das steht nirgends geschrieben.« Mit Recht verweist Adorno auf die prinzipielle Fragwürdigkeit künstlerischer
Praxis. Dass es Kunst nicht geben muss, dass ihr keine objektive Notwendigkeit vorangeht, ist einerseits Bedingung ihrer Autonomie, andererseits
der Grund, weshalb die Legitimation künstlerischer Praxen aus ethisch-politischer Perspektive generell anfechtbar scheint.
Mit Blick auf die gegenwärtige, globale Krise verschärft sich dieses Dilemma noch um ein Vielfaches. Das Ästhetische gerät gegenüber Ethik und Politik massiv in die Defensive – und wird zugleich zur Zielscheibe hoffnungsvoller Projektionen. Wie artikuliert sich im Zuge dieses ethical turn die Relevanz von Kunst?
Kathrin Busch ist Professorin an der Universität der Künste Berlin. Der Schwerpunkt ihrer Forschungen liegt in der Philosophie des 20./21. Jahrhunderts, insbesondere der französischen Philosophie, mit Konzentration auf Fragen der Kunst- und Kulturtheorie. Wichtige Bezugspunkte bilden die Phänomenologie, Psychoanalyse, kritische Theorie, Dekonstruktion und Diskursanalyse. Thematisch stehen Theorien der zeitgenössischen Kunst, Fragen der Affizierung und Passivität sowie Theorien künstlerischer Wissensformen im Fokus der Beschäftigungen. Ausgewählte Veröffentlichungen: P – Passivität, Hamburg 2012; Theorien der Passivität, München 2013 (hrsg. mit Helmut Draxler); Bildtheorien aus Frankreich, München 2011 (hrsg. mit Iris Därmann); A Portrait of the Artist as a Researcher (2007) (hrsg. mit Dieter Lesage); Aporien der Gabe bei Jacques Derrida, München 2004.
Kurator und Autor, studierte Bildende Kunst. Von 2000 bis 2005 war er Dozent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. 2008 Mitbegründer der Galerie KOW in Berlin sowie Co-Initiator und Leiter der »Neuen Auftraggeber / New Patrons« in Deutschland. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen treten für eine antirepräsentationale und gesellschaftlich orientierte Kunst ein. Als Theoretiker schrieb Koch unter anderem über den Ausstieg aus der Kunst und die Binnendifferenzierung des Kunstfeldes.
Peter Wiersbinski studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie in Leipzig und Lyon. Magisterarbeit über die Ästhetik Kants und Adornos, Titel: »Objektivität und Autonomie der ästhetischen Erfahrung bei Kant und Adorno«. Zur Zeit Arbeit an der Dissertation zum Thema Moralischer Relativismus. Veröffentlichungen und Vorträge zur Ästhetik, zur praktischen Philosophie und zur philosophischen Anthropologie.
Seit etwa 20 Jahren lässt sich eine erneute Hinwendung
der Kunst zu sozialen und politischen Problemstellungen
beobachten. Kunst um ihrer selbst willen zu produzieren,
erscheint vielen Künstler*innen nicht mehr nur
unbefriedigend, sondern angesichts der gegenwärtigen
Ubiquität der Krise(n) auch ethisch und politisch fragwürdig.
Referenzrahmen und Methoden künstlerischer
Praxis haben sich radikal erweitert. Die üblichen kunsthistorischen
Bezugnahmen reichen für den Ausweis der
Relevanz von Kunst nicht mehr aus. Statt solipsistisch
auf sich selbst zu reflektieren, soll Kunst offensiv die Nähe
zum Realen suchen: die Wirklichkeit der aktuellen, sozialen
Kämpfe vergegenwärtigen, sich mit Formen politischen
Aktivismus legieren oder punktuell Möglichkeiten
der Partizipation und sozialen Integration eröffnen.
Dass Ambitionen dieser Art nicht ohne institutionellen
Widerhall bleiben, versteht sich: Künstler*innen werden
heute offensiv als Agent*innen des gesellschaftlichen
Wandels adressiert; sie sollen Gentrifizierungs- und Kulturalisierungsprozesse
initiieren, als kreative Sozialarbeiter*
innen die Integration marginalisierter Gruppen
befördern oder mit der fließbandmäßigen Produktion
von »criticality« den Fortbestand (und Marktwert) von
Institutionen unterschiedlichster Couleur sichern.
Relevanz versteht sich hier als Ausweis sozialer Wirksamkeit.
Wie verträgt sich ein solcher Anspruch aber
mit der Spezifität von Kunst? Bemisst sich die Relevanz
künstlerischer Praxen tatsächlich nach dem Grad
ihrer Öffnung aufs Soziale? Oder sind nicht vielmehr
solche künstlerischen Praxen relevant, die, allen moralischen
Bedenken zum Trotz, auf dem Privileg ästhetischer
Autonomie, der Eigengültigkeit und Zweckfreiheit
von Kunst, insistieren? Andererseits: Kann (darf?)
Kunst zu den gegenwärtigen, sozialen und politischen
Transformationsprozessen und deren dramatischen
Konsequenzen schweigen? Kurz: Wann lässt sich mit
Recht – aus ethisch-politischer ebenso wie aus ästhetischer
Perspektive, unter den Bedingungen des gegenwärtigen
Kapitalismus, – von einer relevanten, künstlerischen
Praxis sprechen? In der ersten Veranstaltung
wollen wir diskutieren, woher das verstärkte Begehren
der Gegenwartskunst nach Relevanz und sozialer Wirksamkeit
rührt, welche Formen es annimmt und wie es
mit Blick auf das Spezifische der Kunst zu bewerten ist.
Mitschnitt der 1. Veranstaltung (Dauer 2:30:48) » Browserplayer
Linke Kunst?! – Zum Verhältnis von Kunst und emanzipatorischer Praxis
Alice Creischer ist Künstlerin und lebt in Berlin.
Zusammen mit Andreas Siekmann schreibt sie in den Kunstzeitschriften Springerin und Texte zur Kunst.
kerstin stakemeier lehrt kunsttheorie und -vermittlung an der akademie der bildenden künste in nürnberg. sie studierte zunächst politikwissenschaften in bremen und berlin, dann kunstgeschichte in berlin und london und schreibt, kuratiert und organisiert seit anfang der 2000ern zur politik und geschichte der kunst, zur konsequenz ihrer medienspezifik und zur gegenwart ihrer ökonomie. sie veröffentlicht unter anderem in texte zur kunst, springerin, artform und october. 2016 erscheint a-autonomie (gemeinsam mit marina vishmidt) bei textem/mute und »Entgrenzung und Entkunstung. Dramatisierungen der Kunst« bei b_books polypen.
Anna Kow, geb. 1986, lebt in Leipzig und studiert Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut. Sie ist Redakteurin der Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik outside the box und hat u.a. in der Jungle World und dem Magazin p.s. – Politisch Schreiben veröffentlicht.
Katharina Zimmerhackl, geb. 1983, lebt und arbeitet vorwiegend in Leipzig. Neben einer eigenen künstlerischen Praxis, in der sie sich u.a. mit visuellen und literarischen Sprache(n) und deren Form der Wissensproduktion auseinandersetzt, ist sie seit 2010 Redakteurin der Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik – outside the box.
Die outside the box ist eine Ende 2008 in Leipzig gegründete Zeitschrift, die sich einer umfassenden Gesellschaftskritik mit feministischem Fokus verschrieben hat. Seit der ersten Ausgabe zum Thema »Emanzipation« im Jahr 2009 sind im Abstand von je 1 – 1 ½ Jahren Hefte zu den Themen »Form« (2010), »Gebären« (2011), »Arbeit« (2013) und »Streit« (2015) entstanden.
Aus Perspektive eines linken Selbstverständnisses
scheint Gegenwartskunst, wenn überhaupt, nur als
Gegenstand von Polemiken relevant. Als »irgendwie
bürgerliche Institution« oder »postmoderne Schaumschlägerei
« gilt sie entweder als hochgradig verdächtig
– Instrument (und Symptom) der allgemeinen,
kulturindustriellen Verdummung – oder schlicht nicht
von Belang. Inwieweit der eigene linke Lebensentwurf
sich aus Figuren und Modellen des Ästhetischen speist,
mithin die Nähe von Kunst und linker Politik praktisch
bezeugt, wird von einer Vielzahl der Akteur*innen der
Linken indes nur selten reflektiert. Kunst hingegen
bezieht sich umgekehrt durchaus affirmativ auf linke
Selbstbeschreibungsmodelle. Mit der Wahl ihrer Themen,
theoretischen Referenzen und der aktuellen
Tendenz zu aktivistisch und partizipatorisch ambitionierten
Formaten verortet sich Gegenwartskunst offensiv
im Zeichenraum linker Politik. Nicht selten nimmt
sie dabei das Label des »Linksseins« auch explizit, als
Ausweis ihrer »criticality«, für sich in Anspruch. Was
aber hat es mit dem Import linker Inhalte und Zeichen
in die Gegenwartskunst auf sich? Betreibt die Kunst
eine gezielte Politisierung des Ästhetischen oder leistet
sie vielmehr einer Ästhetisierung (und mithin Entleerung)
des Politischen Vorschub?
Andererseits: allen Spannungen und Widersprüchen
zum Trotz scheinen Kunst und emanzipatorische Politik
doch in einem Punkt zweifellos kompatibel: der gemeinsamen
Insistenz auf der Notwendigkeit der Utopie. Das
Beharren darauf, dass das, was ist, nicht alles ist, ist für
linke Theorie und Praxis ebenso konstitutiv wie für den
künstlerischen Prozess. Das utopische Moment ästhetischer
Erfahrung und Produktion – Ausweis ihres
emanzipatorischen Gehalts und Anteils am linken
Gegendiskurs? Dass Kunst nicht von der Notwendigkeit
tatsächlicher, politischer Praxis entbinden kann, steht
außer Zweifel. Die Frage stellt sich jedoch, ob die linke
Kritik an zeitgenössischer Kunst nicht fruchtbarer wäre,
zielte sie weniger auf Abgrenzung, denn auf die Identifizierung
der potentiellen Anschlussstellen zwischen
künstlerischer und politisch-emanzipatorischer Praxis.
Wir wollen in der zweiten Veranstaltung die Relevanz
von Kunst im Kontext linker Kritik- und Praxismodelle
diskutieren.
Hinweis: Auf Grund techn. Probleme beginnt der Mitschnitt ca. 20 min nach Veranstaltungsbeginn.
Mitschnitt der 2. Veranstaltung (Dauer 1:51:53)
» Browserplayer
(Un)Möglichkeitsraum Kunstfeld – eine Bestandsaufnahme
Prof. Dr. Beatrice von Bismarck, Kunsthistorikerin, Leipzig/ Berlin. Von 1989 bis 1993 am Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt/Main als Kuratorin der Abteilung 20. Jahrhundert. Anschließend 1993 bis 1999 an der Universität Lüneburg, wo sie zusammen mit Diethelm Stoller und Ulf Wuggenig den »Kunstraum der Universität Lüneburg« gründete. Seit 1999 Professorin für Kunstgeschichte und Bildwissenschaft an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig sowie bis 2012 Programmleiterin der dortigen Galerie der Hochschule. Zusammen mit Alexander Koch initiierte sie 2000 den /D/O/C/K-Projektbereich der HGB. Theorie und Praxis verbindende Ansätze kultureller Produktion stehen im Zentrum ihrer Arbeitsweise. Zu ihren aktuellen Untersuchungsgebieten zählen der künstlerische Arbeitsbegriff, die ästhetischen, sozialen und politischen Potentiale kuratorischen Handelns, die Konsequenzen der Globalisierung für das kulturelle Feld und die Funktionen des postmodernen Künstlerbilds.
Clemens von Wedemeyer ist Künstler und Filmemacher und seit 2013 Professor für Medienkunst (Klasse Expanded Cinema) an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Einzelausstellungen 2015 MCA Chicago, 2014 Braunschweiger Kunstverein, 2013 MAXXI, Museo nazionale delle arti del XXI secolo, Rom; 2009 »The Fourth Wall«, Barbican Centre London. 2012 Teilnahme an der dOCUMENTA(13), Kassel.
Warum und zu welchem Ende studiert und produziert
man Kunst? Wir unterstellen: Jeder künstlerischen
Praxis wohnt das Begehren nach Relevanz inne.
Abhängig von den Erwartungen, die man an die eigene
und die Kunst allgemein richtet, kann mit Relevanz freilich
Unterschiedliches gemeint sein. Für die einen ist
nur solche Kunst relevant, die Anteil am Kunstmarkt
hat. Relevanz ist hier gleichbedeutend mit ökonomischem
Erfolg. Andere hingegen bemessen die Relevanz
von Kunstwerken danach, inwieweit sie kritisch auf
die Bedingungen ihrer Produktion oder die sozialen
Verhältnisse insgesamt reflektieren. Wieder andere
behaupten: die Relevanz von Kunst lässt sich weder
anhand ökonomischer, noch anhand ethisch-politischer
Parameter messen, sondern artikuliert sich gemäß einer
kunst-immanenten Logik.
Wie schlägt sich die persönliche Bestimmung der
Relevanz von Kunst in der eigenen Produktion nieder?
In welchem Maße bietet der Kunstkontext Raum für die
unterschiedlichen Verständnisse von und Erwartungen
an Kunst? Welche Möglichkeits- u. Spielräume eröffnen
sich an den Schnittstellen zu anderen Praxen: Bildung,
Aktivismus, soziale Arbeit? Suchen zeitgenössische,
künstlerische Praxen, wie der Befund des ethical turn
es nahelegt, tatsächlich verstärkt die Konfrontation
mit (und Aufhebung in) einem Außen der Kunst? In
welchem Maße halten »Verantwortungsästhetik« (Holert)
und Relevanzdiktat in europäischen Kunstakademien
Einzug? In der dritten und letzten Veranstaltung wollen
wir den Blick stärker auf unser je individuelles Verständnis
der Relevanz von Kunst lenken. Im Zentrum der
Diskussion soll die Frage nach der Motivation künstlerischer
Praxis im Verhältnis zu den Bedingungen und
Grenzen der Institution Kunst stehen.
Mitschnitt der 3. Veranstaltung (Dauer 2:05:04) » Browserplayer
Moderation der Veranstaltungen: Benjamin Meyer-Krahmer
Konzipiert von: Philipp Farra,
Benjamin Meyer-Krahmer, Maximilian Steinborn, Susan Winter, Hannah Wolf
In Kooperation mit: StuRa & Institut für Theorie, HGB Leipzig
Mit der freundlichen Unterstützung von:
Veranstaltung zur Relevanz der Kunst. Kunst der Relevanz im Rahmen des Ausstellungsprojekts »fremd« im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig » mehr Infos ***
Tuesday, May 3, 2016 6:00 pm
Diskussionsveranstaltung mit Deborah Jeromin, Benjamin Meyer-Krahmer, Marc Rölli und Julia Zureck
Moderation: Maximilian Steinborn
Im Anschluss an die Diskussionsreihe »Relevanz der Kunst / Kunst der Relevanz«", die im Wintersemester an der HGB Leipzig stattfand, setzt die Veranstaltung die Auseinandersetzung mit der Frage fort, ob und wenn ja wie Kunst dazu in der Lage ist, Analyse und Kritik auf produktive Weise zu formulieren. Zur Debatte stehen die Spezifik der Kunst bzw. künstlerischer Kritik, die Frage der Instrumentalisierung von Kunst, wenn sie in einer von diversen Interessen durchzogenen, institutionellen Situation eine Haltung oder Position zu formulieren beabsichtigt sowie eine genauere Betrachtung der Effekte der Ausstellung »fremd«.
Mitschnitt der Veranstaltung im Grassi (Dauer 1:53:45) » Browserplayer